Konkret

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Konkret (von lat. concrescere "zusammenwachsen" bzw. lat. concretus "dicht, fest") sind Begriffe, die - im Gegensatz zu den abstrakten Begriffen - durch den kognitiven Prozess der Konkretisierung unmittelbar auf eine gegebene, ganz spezifische Wahrnehmung bezogen und mit dieser gleichsam zusammengewachsen sind. Derartige unmittelbar an der Sinneswelt gebildete Begriffe bezeichnet Rudolf Steiner in seiner Philosophie der Freiheit als Vorstellung. Vorstellungen bilden die Grundlage des Gedächtnisses und können später gegebenenfalls erinnert werden.

Mit der Vorstellung ist noch nicht der reine Begriff gegeben. Dieser wird erst durch die rein innerliche gedankliche Tätigkeit konstruiert bzw. gebildet. Der reine Begriff ist nicht mehr auf eine bestimmte konkrete sinnliche Wahrnehmung bezogen und in diesem Sinn, d.h. im Hinblick auf die sinnliche Wahrnehmungswelt, abstrakt. Er ist aber zugleich im geistigen Sinn konkret, da ihm eine inhaltvolle gedanklich-geistige Tätigkeit zu Grunde liegt. Durch die Beobachtung des Denkens kann diese wahrgenommen und zusammen mit ihrer begrifflichen Bestimmung als konkrete geistige Wirklichkeit erfahren werden. Der denkende Mensch beobachtet so seine eigene geistige Tätigkeit - und steht damit am Beginn der geistigen Wahrnehmung überhaupt, durch die er sich selbst als geistiges Wesen erlebt. Damit ist zugleich ein sicherer Ausgangspunkt für alle weitere konkrete geistige Wahrnehmung gegeben.

„Was ein Begriff ist und wie er sich verhält zur Vorstellung, wird am besten gezeigt an einem Beispiel aus der Mathematik. Nehmen wir den Kreis. Wenn wir mit einem Kahn auf das Meer hinausfahren, bis dort, wo wir schließlich nichts weiter sehen als die Meeresfläche und den Himmel, so können wir, wenn es ganz ruhig ist, den Horizont wahrnehmen als einen Kreis. Schließen wir dann die Augen, so behalten wir von dieser Wahrnehmung als Erinnerungsbild die Vorstellung des Kreises zurück. Um zum Begriff des Kreises zu kommen, müssen wir einen anderen Weg einschlagen. Wir dürfen keinen äußeren Anlaß für die Vorstellung suchen, sondern wir konstruieren im Geiste alle Punkte einer Fläche, welche von einem bestimmten festen Punkte gleich weit entfernt sind; wiederholen wir dies unzählige Male und verbinden im Geiste diese Punkte durch eine Linie, so baut sich vor unserem Geiste das Bild eines Kreises auf. Wir können auch mit Kreide an der Tafel eine Illustration dieses geistigen Bildes geben. Wenn wir uns nun dieses nicht durch äußere Eindrücke, sondern durch inneres Konstruieren entstandene Bild des Kreises vor Augen stellen und es vergleichen mit dem Bild der Meeresfläche und des Horizontes, das sich der äußeren Wahrnehmung darbot, so können wir finden, daß der innerlich konstruierte Kreis dem Bild der äußeren Wahrnehmung durchaus entspricht.

Wenn nun die Menschen wirklich logisch denken, im strengen logischen Sinne denken, so tun sie etwas anderes als äußerlich wahrnehmen und das Wahrgenommene sich wieder vergegenwärtigen; dies ist nur eine Vorstellung. Beim logischen Denken aber muß jeder Gedanke innerlich konstruiert sein, er muß ähnlich geschaffen sein, wie ich es eben am Beispiele des Kreises erklärt habe. Mit diesem inneren Gedankenbilde geht der Mensch dann erst an die äußere Wirklichkeit heran und findet Harmonie zwischen dem inneren Bilde und der äußeren Wirklichkeit. Die Vorstellung steht mit der äußeren Wahrnehmung in Verbindung, der Begriff ist entstanden durch inneres Konstruieren. Immer haben die Menschen so innerlich konstruiert, die wirklich logisch dachten. So hat Kepler, als er seine Gesetze aufstellte, diese innerlich konstruiert, und er fand sie dann in Harmonie mit der äußeren Wirklichkeit.

Der Begriff ist also nichts anderes als ein Gedankenbild, er hat seine Genesis, seinen Ursprung im Gedanken. Eine äußere Illustration ist nur eine Krücke, ein Hilfsmittel, um den Begriff anschaulich zu machen. Nicht durch äußere Wahrnehmung wird der Begriff gewonnen, er lebt zunächst nur in der reinen Innerlichkeit.“ (Lit.:GA 108, S. 199f)

Ein Grundirrtum des Philosophierens besteht nach Rudolf Steiner darin, die Sinneswelt bereits als fertige Wirklichkeit anzusehen. Erst das Denken, das die Wahrnehmungen durchdringt, enthüllt ihre Gestalt und Struktur und bei entsprechender Begriffsbildung auch ihre inneren Gesetzmäßigkeiten, ohne die sie nicht bestehen könnte, und führt damit erst zur vollen Wirklichkeit. Im höchsten Sinn ist das der Fall, wenn sich die Beobachtung auf das Denken selbst richtet.

„Mit solcher Denkbeobachtung ist jedoch nicht etwa ein bloßes Nachdenken über das Denken gemeint, wie es sich schon im „Denken des Denkens“ bei Aristoteles und im cogito des Descartes findet. Es geht vielmehr um konkrete Anschauung und Erlebnis dessen, was da im Denken denkt. Wird dieses anschauend erlebt, betont Steiner, dann erkennt der Mensch, was er in Wirklichkeit ist. Er erkennt dann auch, was im Fühlen fühlt und was im Wollen will, und nur von dieser Erkenntnis ausgehend versteht er dann auch die Welt um ihn herum und kann in befriedigender Weise darin als Mensch leben.“ (Lit.: Clement, S. 6f)

„Es handelt sich dabei, um es nur kurz anzudeuten, darum, daß der Mensch das, was sonst bloß kombinierendes Denken ist, wie es dem zugrunde liegt, was man heute oftmals allein «Wissenschaft» nennt, zum innerlichen Denkleben erweckt. Dann ist das Denken ein Leben im Gedanken. Dann kann man auch nicht mehr über das Denken denken, sondern dann verwandelt es sich überhaupt in etwas anderes. Dann verwandelt sich das Denken über das Denken in eine geistige Anschauung des Denkens, dann hat man das Denken so vor sich, wie man sonst äußere Sinnesobjekte vor sich hat, nur daß man diese vor Augen und Ohren hat, während man das Denken vor der von geistiger Anschauung erfüllten Seele hat.“ (Lit.:GA 67, S. 82f)

Siehe auch

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.