Yggdrasil

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Darstellung der Weltenesche Yggdrasil mit den verschiedenen Tieren, die in und bei ihr leben, in einer isländischen Handschrift des 17. Jhs.

Yggdrasil (altnord. Yggdrasill; auch: Mímameiðr, Læraðr) ist in der germanischen Mythologie die riesenhafte immergrüne Weltenesche, unter deren Bild man sich das ganze Weltgebäude vorstellte.

Überblick

Etymologisch leitet sich das Wort Yggdrasil ab von altnord. yggr „Furcht“, „Schrecken“, „Schrecklicher“, einem der Beinamen Odins, und altnord. drasill „Pferd“, wobei drasill wiederum verwandt bzw. abgeleitet sein dürfte von altnord. drag-a „geschleppte Last, von Pferden geschleifte Holzlast“ bzw. drag-i „Traglast, Träger“; hier ist auch die lautliche Verwandtschaft mit dt. „tragen“ deutlich. Yggdrasil wurde daher oft als „Pferd des Schrecklichen“ oder genauer als „Pferd Odins“ gedeutet. Die Weltesche wird somit dem Pferd Odins gleichgesetzt[1], allgemeiner könnte man auch sagen mit dem „Träger Odins“. Nach der zur Lieder-Edda gerechneten Hávamál hing ein meist mit Odin gleichgesetztes Wesen neun Nächte gekreuzigt und verwundet in einem Selbstopfer an einem fast immer mit Yggdrasil identifizierten Baum. Noch viel später war es im deutschen, englischen und nordgermanischen Raum gebräuchlich, den Galgenbaum Ross und den Gehängten Reiter zu nennen[2]. So wurde Yggdrasil auch als „Schreckensbaum“, „Galgen“ gedeutet[3]. Nach dem isländische Gelehrten Eirikr Magnússon soll Yggdrasil das Reittier Odins und nicht der Baum selbst gewesen sein, der eigentliche askr Yggdrasil geheißen habe[4]. An diesen hätte Odin sein Pferd angebunden[5].

Ygg ist auch Bestandteil des altnord. Wortes Ygg-jung-r „König, Fürst, Nachkomme des Gottes“[6]. Yggdrasil kann derart auch verstanden werden als „Träger des Nachkommen Gottes“. Ein solcher „Nachkomme Gottes“ ist das menschliche Ich (mhd. ich, ahd. ih, got. ik, griech./lat. ἐγώ / ego; von idg. *eĝom, eĝ[ō]), das im Deutschen auch lautlich eng verwandt mit Ygg ist. Damit stimmt auch Rudolf Steiners Übersetzung als Ich-Träger überein:

„So stellt es die germanische Sage dar. Sie sagt: Der neue Mensch in der neuen Welt gleicht einem Baum, einer Esche, die drei Wurzeln hat. Die erste Wurzel geht nach Niflheim, in das eiskalte düstere Urland. Inmitten von Niflheim war der unausschöpfliche Brunnen Hwergelmir; zwölf Ströme entsprangen aus ihm, sie flossen durch die ganze Welt. Die zweite Wurzel ging zum Brunnen der Nornen Urd, Verdhandi und Skuld; sie saßen an seinen Ufern und spannen die Fäden des Schicksals. Die dritte Wurzel ging zu Mimirs Brunnen. Yggdrasil nannte man die Weltesche, in der sich die Weltenkräfte zusammengezogen hatten. Ein Mensch wird abgebildet in dem Moment, wo er sich seines Ich bewußt werden soll, wo aus seinem Innern heraustönen soll das Wort «Ich». «Yggdrasil» ist soviel wie «Ich-Träger». Ich-Träger ist dieser Baum. «Ygg» ist «Ich» und «drasil» ist derselbe Wortstamm wie «tragen».“ (Lit.:GA 101, S. 26)

Nachdem die Asen den Ur-Riesen Ymir getötet haben, schaffen sie dem Mythos nach aus seinem Leichnam alle existierenden Dinge. Die Weltesche Yggdrasil ist der erste Baum, den sie pflanzen. Er ist der größte und prächtigste Baum der Erdengeschichte. Seine Zweige überschatten die neun Welten und wachsen über den Himmel. Auf der Spitze befindet sich der Jötun-Riese Hräswelgr in der Gestalt eines Adlers, der mit den Flügeln schlagend den Wind produziert. In dem Auge des Adlers befindet sich ein Habicht, der Vedrfölnir genannt wird.

Yggdrasil hat drei große Wurzeln, von denen eine nach Jötunheim, dem Land der Riesen, wächst, wo sich auch Mimirs Brunnen befindet. Die andere Wurzel führt in das nebelige Niflheim nahe der Quelle Hvergelmir, wo der Neid-Drache Nidhogg (Nidhöggr) an ihr nagt. Die dritte Wurzel findet sich in der Nähe von Asgard. Das Eichhörnchen Ratatöskr klettert immer an der dritten Wurzel hin und her und verbreitet dabei üble Nachrede vom Adler bis zum Neiddrachen. Vier Hirsche namens Dain, Dwalin, Dunneir und Durathor fressen die Knospen der Weltenesche ab. Die zwei Schlangen Goin und Moin, die von Grafwitnir (Grabeswolf) abstammen, nagen an den Wurzeln von Yggdrasil.

Unter den Zweigen Yggdrasils halten die Götter Gericht. Am Fuße Yggdrasils findet sich die Quelle der Urd, an der die drei Nornen ihren Sitz haben, die drei Schicksalsgöttinnen Urd, Werdandi und Skuld, die das Schicksal der Menschen und Götter weben, wobei Urd für die Vergangenheit, Werdandi für die Gegenwart und Skuld für die Zukunft steht. Wenn Yggdrasil zu beben (oder zu welken) beginnt, naht das Weltenende Ragnarök.

Die Vorstellung dieser und ähnlicher Himmelsbäume hängt mit den in der Frühgeschichte vielfach auffindbaren Baumkulten zusammen, vergleiche auch die Eiche im alten Griechenland und die Linde im deutschen Mittelalter. Auch Richard Wagner hat in seiner Operntetralogie „Der Ring des Nibelungen“ das Bild von der Weltesche verwendet. Beim Untergang der Götterwelt in der „Götterdämmerung“ bricht mit dem Untergang Walhalls auch die Weltesche.

Einzelnachweise

  1. Rudolf Simek: Lexikon der germanischen Mythologie. 3. Auflage. Kröner-Verlag, Stuttgart 2006, S. 495
  2. Wolfgang Golther: Handbuch der germanischen Mythologie. Leipzig 1875, neu aufgelegt, Marix-Verlag, 2004, S. 632
  3. Vertreten durch F. Detter, siehe Rudolf Simek: Lexikon der germanischen Mythologie. 3. Auflage. Kröner-Verlag, Stuttgart 2006, S. 495
  4. Eirikr Magnússon: Odins Horse Yggdrasil. London, 1895. So auch John Arnott MacCulloch: Eddic. In: The Mythology Of All Races New York 1964, Bd. 2, S. 333 f.
  5. Vergleiche Rudolf Simek: Lexikon der germanischen Mythologie. 3. Auflage. Kröner-Verlag, Stuttgart 2006, S. 495
  6. Vergleiche Gerhard Köbler: Altnordisches Wörterbuch. 2. Auflage, 2003. Online.
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