Religionskritik

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Religionskritik stellt Religiosität und Religionen, ihre Glaubensaussagen, Konzepte, Institutionen und Erscheinungsformen rational beziehungsweise moralisch-ethisch in Frage. Sie begleitet die Religionen durch ihre ganze Geschichte.[1]

Haupttypen

Die Kritik an anderen Religionen ist eine verbreitete Form religiöser Selbstdarstellung, besonders dort, wo eine Religion einen Absolutheitsanspruch für den eigenen Glauben erhebt. Im Monotheismus, wo ein höchster Gott zugleich als einziger Gott gilt, werden andere Götter bzw. Gottesbilder und ihnen zugeordnete Offenbarungen in der Regel am Maßstab des eigenen Gottesbildes kritisiert. Diese Form der Kritik hat die Religionsgeschichte wesentlich mitbestimmt.

Eine seit der Antike bekannte immanente Kritik misst empirische Erscheinungen von Religion am normativen Begriff einer absoluten Wahrheit, um falsche Gottesvorstellungen und Religionspraktiken abzuweisen. Die Christliche Theologie unterschied seit etwa 400 die „wahre“ von der „falschen“ Religion innerhalb und außerhalb des Christentums. Diese Unterscheidung wurde besonders in der Reformationszeit als reflektierte theologische Selbstkritik ausformuliert, um die christliche Religionsausübung zu reformieren.

Die Philosophie der Neuzeit bildete im Zeitalter der Aufklärung einen Allgemeinbegriff von Religion, um die verfeindeten christlichen Konfessionen, ihren Dogmatismus und ihre wechselseitigen Absolutheitsansprüche zu kritisieren. Dieser Allgemeinbegriff umfasste tendenziell auch außerchristliche Religionen und religionsähnliche Weltanschauungen, ordnet also Vorstellungen von „so etwas wie Gott“ in ein gemeinsames Genus ein. Die menschliche Religiosität wurde auf eine natürliche Fähigkeit des Menschen zum Erleben, Erfragen und Begreifen eines Sinnganzen zurückgeführt, die sich zur humanen Vernunft fortentwickeln könne und werde. Diese Vernunftreligion sollte die widerstreitenden partikularen Glaubensbekenntnisse rationalen Zwecken dienstbar machen, überwinden, auflösen oder in ein höheres, nun ganz auf sich selbst gestelltes Selbstbewusstsein „aufheben.“ Damit wurde zunehmend Religion überhaupt Gegenstand kritischen Denkens.

Der Theologe Johann Heinrich Tieftrunk verwendete die Begriffe „Kritik der Religion“ (1790) bzw. „Religionskritik“ (1791 ff.) erstmals als Titel. Er verstand sie wie Immanuel Kant (Religion in den Grenzen der praktischen Vernunft, 1793) als kritische Prüfung nicht nur bestimmter Religionsinhalte, sondern des religiösen Bewusstseins als solchem, das zu kritisieren sei, soweit es der Autonomie der Vernunft widerspreche.

Seit den Enzyklopädisten des 17. und 18. Jahrhunderts wurde eine dezidierte Religionskritik zunehmend als spezielle philosophische Teildisziplin entfaltet. Daraus entstanden vor allem im 19. und frühen 20. Jahrhundert ausformulierte Gegenpositionen zu Religion überhaupt. Als in diesem Sinn „klassische“ Religionskritiker gelten heute vor allem Auguste Comte, Ludwig Feuerbach, Karl Marx, Friedrich Nietzsche, Sigmund Freud, Bertrand Russell, Albert Camus und Jean-Paul Sartre. Mit ihren Theorien schufen sie atheistische Weltbilder oder trugen zu deren Entwicklung bei. In den neuzeitlichen Naturwissenschaften setzte sich der methodische Grundsatz durch, Erkenntnisse unter prinzipiellem Verzicht auf transzendent begründete Dogmen oder Hypothesen zu gewinnen.

Die verschiedenartige Religionskritik des Empirismus, Materialismus, Rationalismus, Positivismus, Marxismus, der Psychoanalyse und des Existentialismus zielt auf Aufklärung, Destruktion und/oder Ersetzung vorhandener Religion, indem sie deren Entstehung aus nichtreligiösen Faktoren aufzuzeigen versucht. Auch diese Entwürfe bezogen sich historisch vor allem auf vom Judentum und Christentum überlieferte theistische Gottesbilder und Dogmen. Sie kritisieren aber darüber hinaus jede Religion und auch die philosophische Metaphysik, die ihren reflektierten Gottesbegriff ihrerseits gegen personale, mythische und naive Gottesbilder abgrenzte.

Stand in der Frühen Neuzeit der kirchliche Anspruch auf abschließende Welterklärung, im 18. Jahrhundert das christliche Monopol auf ethische Lebensführung im Feuer der aufklärenden Kritik, so rückte im 19. Jahrhundert die soziale Funktion der (noch immer vor allem christlichen) Religion in den Vordergrund des kritischen Interesses. Sie wurde nun immer stärker als Sammlung von Methoden der Selbstberuhigung, Fremdbestimmung und Herrschaftssicherung angesehen, die es zu überwinden und abzuschaffen gelte.

Zur Geschichte der Religionskritk siehe auch

Siehe auch

Portal
Portal
 Wikipedia:Portal: Atheismus – Übersicht zu Wikipedia-Inhalten zum Thema Atheismus

Literatur

Einführungen
  • Michael Weinrich: Religion und Religionskritik. Ein Arbeitsbuch. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2011, ISBN 978-3-8252-3453-9.
  • Klaus Hock: Religionskritik. In: Michael Klöcker, Udo Tworuschka (Hg.): Praktische Religionswissenschaft. Köln/Weimar/Wien: UTB 2008, S. 34–47
  • Georges Minois: Geschichte des Atheismus. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Hermann Böhlaus Nachfolger, Weimar 2000, ISBN 3-7400-1104-1
  • Jörg Salaquarda: Hauptargumente der Religionskritik. Stuttgart 2004
  • Karl-Heinz Weger SJ (Hrsg.): Religionskritik von der Aufklärung bis zur Gegenwart. 4. Auflage, Herder, Freiburg u. a. 1988, ISBN 3-451-07716-7
  • Hartmut Zinser: Artikel Religionskritik. In: Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe, 1988, Band 4, S. 310–318
  • Hans Zirker: Religionskritik. (1982) 3. überarbeitete Auflage 1995 (Volltext online)
  • Gerhard Czermak: Problemfall Religion. Ein Kompendium der Religions- und Kirchenkritik. Tectum Verlag, Marburg 2014, ISBN 978-3-8288-3285-5
  • Gregor Maria Hoff: Religionskritik heute, 2004, 2. Aufl., Kevelaer 2010. ISBN 978-3-8367-0523-3
Antike Religionskritik
  • Franz Eckstein: Abriss der griechischen Philosophie. Hirschgraben-Verlag, Frankfurt am Main 1974, ISBN 3-454-75600-6
  • Gebhard Löhr: Religionskritik in der griechischen und römischen Antike. In: Georg Stadtmüller, Jan Assmann, Herbert Franke (Hrsg.): Saeculum. Band 49/1. Alber Verlag, Freiburg/B. 1998, ISSN 0080-5319
Texte klassischer Religionskritiker
  • Edgar Dahl (Hrsg.): Brauchen wir Gott? Moderne Texte zur Religionskritik. S. Hirzel, Stuttgart 2005, ISBN 3-7776-1287-1
  • Ludwig Feuerbach: Das Wesen des Christentums. Reclam, Stuttgart 2002, ISBN 3-15-004571-1
  • Sigmund Freud: Die Zukunft einer Illusion, in: Ders.: Massenpsychologie und Ich-Analyse. Fischer, Frankfurt/M. 2002, ISBN 3-596-10452-1
  • Norbert Hoerster (Hrsg.): Religionskritik für die Sekundarstufe II. Reclam, Stuttgart 1999, ISBN 3-15-009584-0
  • Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. B = 2. Auflage 1787, Ausgabe Meiner, Hamburg 1998, ISBN 3-7873-1319-2
  • Michael Kühnlein (Hrsg.): Religionsphilosophie und Religionskritik. Ein Handbuch. (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2140) Suhrkamp, Berlin 2018, ISBN 978-3-518-29740-7.
  • Bertrand Russell: Warum ich kein Christ bin. Von der Unfreiheit eines Christenmenschen. Rowohlt, Reinbek 1992, ISBN 3-499-16685-2
  • Leo Strauss: Die Religionskritik Spinozas und zugehörige Schriften, in: Gesammelte Schriften, 6 Bände, Band 1: Metzler, Stuttgart 2001, ISBN 3-476-01856-3
  • Michael Weinrich (Hrsg.): Religionskritik in der Neuzeit. Philosophische, soziologische und psychologische Texte. Gütersloher Verlagshaus Mohn, Gütersloh 1985, ISBN 3-579-00293-7
  • Hans Wollschläger: Die Gegenwart einer Illusion. Reden gegen ein Monstrum. Diogenes, Zürich 1978
Christentumskritik
  • Karlheinz Deschner (Hrsg.): Das Christentum im Urteil seiner Gegner. Max Hüber, Ismaning 1986, ISBN 3-19-005507-6
  • Karlheinz Deschner: Abermals krähte der Hahn. Eine kritische Kirchengeschichte. Goldmann, München 1996, ISBN 3-442-72025-7
  • Karlheinz Deschner: Der gefälschte Glaube. Eine kritische Betrachtung kirchlicher Lehren und ihrer historischen Hintergründe. Knesebeck, München 2004, ISBN 3-89660-228-4
  • Karlheinz Deschner: Kriminalgeschichte des Christentums. Bd. 1–8. CD-ROM-Version, Digitale Bibliothek, Directmedia GmbH, Berlin 2005, ISBN 3-89853-532-0
  • Gert von Paczensky: Verbrechen im Namen Christi. Mission und Kolonialismus. Orbis-Verlag, München 2002, ISBN 3-572-01177-9
  • Franz Buggle: Denn sie wissen nicht, was sie glauben oder warum man redlicherweise nicht mehr Christ sein kann. Alibri-Verlag, Aschaffenburg 2004, ISBN 3-932710-77-0
  • Edgar Dahl (Hrsg.): Die Lehre des Unheils: Fundamentalkritik am Christentum. Goldmann, München 1995, ISBN 3-442-12590-1
  • Mary Daly: Jenseits von Gottvater Sohn & Co. Aufbruch zu einer Philosophie der Frauenbefreiung. 5. erweiterte Auflage. Frauenoffensive, München 1988, ISBN 3-88104-154-0
  • Joachim Kahl: Das Elend des Christentums oder Plädoyer für eine Humanität ohne Gott. Rowohlt, Reinbek 1993, ISBN 3-499-13278-8
  • Alfred Lorenzer: Das Konzil der Buchhalter. Die Zerstörung der Sinnlichkeit. Eine Religionskritik. Fischer, Frankfurt am Main 1992, ISBN 3-596-27340-4
  • Goel, S. R. (1996). History of Hindu-Christian encounters, AD 304 to 1996. ISBN 8185990352
  • Shourie, A. (1994). Missionaries in India: Continuities, changes, dilemmas. New Delhi: ASA Publications.
  • Swarup, R. (1992). Hindu view of Christianity and Islam. New Delhi: Voice of India.
Historisch-soziologische Religionskritik
  • Günter Dux: Erkenntniskritik der Religion. Denken, was unabweisbar ist. In: Christian Danz, Jörg Dierken, Michael Murrmann-Kahl (Hrsg.ff): Religion zwischen Rechtfertigung und Kritik. Perspektiven philosophischer Theologie. Peter Lang, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-631-53882-0
  • Hermann Lübbe: Religion nach der Aufklärung. Fink, München 2004, ISBN 3-7705-3941-9
  • Carsten Jakobi, Bernhard Spies, Andrea Jäger (Hrsg.): Religionskritik in Literatur und Philosophie nach der Aufklärung. Mitteldeutscher Verlag, Halle/S. 2007, ISBN 3-89812-374-X
Psychoanalytische Religionskritik
  • Alf Gerlach u. a. (Hrsg.): Psychoanalyse des Glaubens. Psychosozial-Verlag, Gießen 2004, ISBN 3-89806-315-1
  • Tilmann Moser: Von der Gottesvergiftung zu einem erträglichen Gott. Psychoanalytische Überlegungen zur Religion. Kreuz-Verlag, Stuttgart 2003, ISBN 3-7831-2318-6
  • Gerhard Vinnai: Jesus und Ödipus – Zur Psychoanalyse der Religion. Fischer-TB, Frankfurt/M. 1999, ISBN 3-596-14478-7 (Volltext online)
  • Hermann Fischer: Gespaltener christlicher Glaube – Eine psychoanalytisch orientierte Religionskritik. Herbert Reich Verlag, Hamburg 1974, ISBN 3-7924-0332-3 (Volltext online)
Sprachanalytische Religionskritik
Rationalistische Religionskritik
  • Hans Albert: Traktat über kritische Vernunft. 4. Auflage, Tübingen 1980
  • Hans Albert: Das Elend der Theologie. Kritische Auseinandersetzung mit Hans Küng. Alibri-Verlag, Aschaffenburg 2005, ISBN 3-455-08853-8
  • Hans Albert: Der religiöse Glaube und die Religionskritik der Aufklärung. Beschränkungen des Vernunftgebrauchs im Lichte kritischer Philosophie. In: Journal for General Philosophy of Science 37 (2006), S. 355–371. (Text online)
  • Karl Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde. 6. Auflage, München 1980
Naturwissenschaftliche Religionskritik
Fundamentalismuskritik und Islamkritik
  • Hubertus Mynarek: Denkverbot. Fundamentalismus in Christentum und Islam (1992), Bad Nauheim 2005, ISBN 3-930994-16-X
  • Ibn Warraq, Taslima Nasreen: Warum ich kein Muslim bin, Berlin 2004, ISBN 3-88221-838-X
Christlich-theologische Religionskritik
  • Karl Barth: Gottes Offenbarung als Krisis der Religion. In: Die Kirchliche Dogmatik I/2, §17. Studienausgabe, 31 Bände, Band 4, Die Offenbarung Gottes. Theologischer Verlag, Zürich 1993, ISBN 3-290-11604-2
  • Hans-Joachim Kraus: Theologische Religionskritik. Neukirchen-Vluyn 1982, ISBN 3-7887-0672-4
  • Gerd Theißen: Argumente für einen kritischen Glauben. Oder: Was hält der Religionskritik stand? Kaiser, München 1988, ISBN 3-459-01766-X
  • Helmut Gollwitzer: Die marxistische Religionskritik und der christliche Glaube. GTB Siebenstern, Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn, 7. Auflage 1981, ISBN 3-579-03900-8

Weblinks

 Wikibooks: Religionskritik – Lern- und Lehrmaterialien
 Wiktionary: Religionskritik – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Commons: Religionskritik - Weitere Bilder oder Audiodateien zum Thema

Einzelbelege

  1. Günther Rohrmoser: Die Religionskritik des 19. Jahrhunderts und ihre Überwindung im Denken Martin Heideggers, in: Jörg Baur: Die Unausweichlichkeit des Religiösen und die Unableitbarkeit des Evangeliums: Religionskritik als theologische Herausforderung; München 1972, S. 57 ff.


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