Negride

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Verbreitung der negriden Rasse, braun dargestellt: Afrika und Australien, Meyers Konversationslexikon (1885–1892)

Negride oder Negroide (lateinisch niger „schwarz“) ist eine nicht mehr gebräuchliche rassenkundliche Bezeichnung für eine Reihe dunkelhäutiger afrikanischer Bevölkerungen, die den überwiegenden Teil des afrikanischen Kontinentes (Subsahara-Afrika) mit Ausnahme Nordafrikas bewohnen. Auch Melaneside, Negritos und insbesondere Australide (australische Völker) wurden anfangs den Negriden zugeordnet. Bisweilen wurden sie als eigener „Rassenkreis“ behandelt und in späteren Theorien den Mongoliden zugeordnet.[1] Die Einteilung negrid oder negroid ist völkerkundlich unbrauchbar, weil sie nach rein körperlichen Kriterien (→ Phänotypische Variation) eine angebliche Einheitlichkeit suggeriert. Teilweise wird als Synonym auch der Begriff Schwarze verwendet.

Negride gehörten nach veralteten Rassentheorien neben Europiden und Mongoliden zu den drei grundlegend unterschiedlichen Großrassen. Die Klassifizierung als sogenannte „Großrasse“ erfolgte mehr oder weniger willkürlich anhand (augenfälliger) gemeinsamer Merkmale, von denen man annahm, sie belegten einen gemeinsamen Ursprung oder eine genetische Verwandtschaft. Molekulargenetische Daten zeigen jedoch eine Inhomogenität der als Negriden zusammengefassten Gruppe und widersprechen einer Einteilung in „Großrassen“. Als negrid wurden körperliche Merkmale wie eine wulstige Nase, krauses Haar und eine dunkel pigmentierte Haut angesehen. Der Gesichtsschädel des „typischen Negriden“ weist rundliche Augen- und Nasenhöhlen auf, ausgeprägte Kiefer und häufig einen langgestreckten Schädel.

Die Bezeichnung negrid selbst ist wegen ihrer Verbindung zum Rassismus umstritten. Sie wurde hergeleitet von Neger oder englisch negro, was Assoziationen zu Sklaverei, Kolonialismus und Herrschaftsansprüchen europäischer Eroberer weckt und daher als abwertend und überlebt angesehen wird. Die Form africoid wird in der angelsächsischen Forschung teils als freie Alternative verwendet, ohne abwertende Nebenbedeutungen; eine weitere Alternative ist gelegentlich congoid. Gleichwohl ist negrid oder negroid zumindest in denjenigen Zusammenhängen eine gebräuchliche Bezeichnung, bei denen der Begriff Rasse (englisch race) noch verwendet wird. Der Kontext wird dabei jedoch nicht biologisch begründet, sondern bezieht sich zumeist auf Selbstzuschreibungen wie etwa bei der Rassendefinition des US-Census.

Die angeblich homogenen Eigenschaften der Negriden im Unterschied zu den anderen angenommenen „Menschenrassen“ wurde molekularbiologisch und bevölkerungsgenetisch eindeutig widerlegt. Jedes Gen hat seinen eigenen geographischen Verbreitungsschwerpunkt. Um die Existenz einer Rasse zu belegen, müssten die Verbreitungsschwerpunkte einer Vielzahl von Genen einer bestimmten Population weitgehend deckungsgleich und unterscheidbar von anderen Populationen sein. Es gibt jedoch keine einheitlichen geographischen Überschneidungen für alle Schwarzafrikaner (oder Äthiopier, Pygmäen, Khoisan usw.). Die äußerlichen Unterschiede zwischen den sogenannten „Negriden“ und anderen „Rassen“ repräsentieren lediglich einen sehr kleinen Teil der Erbanlagen, die auf die Anpassung an unterschiedliche Klimate zurückgehen.[2]

Rassensystematische Untergliederung

Die Negriden wurden nach der Rassensystematik – die bis über die Mitte des 20. Jahrhunderts hinaus gebräuchlich war – in verschiedene „Kleinrassen“ untergliedert, deren Abgrenzung natürlich noch weitaus problematischer ist als die der drei „Großrassen“. Trotz der enormen Datenmengen über diverse körperliche Merkmale, die zur Rassenbestimmung zusammengetragen wurden, blieb die Beurteilung immer subjektiv, eurozentrisch und so dermaßen künstlich konstruiert, dass die Ergebnisse den vorher formulierten Erwartungen entsprachen.[3][4]

Die folgende Einteilung fand sich noch 1978 im Führer durch die anthropologische Schauausstellung des Naturhistorischen Museums Wien.[5]

Sudanide

Verbreitung: offene Savannen des namengebenden Sudan, Guinea-Küste.

Merkmale: stärkste Ausprägung der negriden Merkmale; mittelgroß, stämmig; langer, niedriger Kopf; ausladendes Hinterhaupt; mittelhohes, breites Gesicht; steile, in den seitlichen Konturen sich oft verjüngende Stirn; große, weite Lidspalte; sehr breite Nase mit geblähten Nasenflügeln; extrem breite Lippen mit besonders ausgeprägter Lippenleiste; stark vorstehender Oberkiefer (Prognathie); mittelgroßes, oft fliehendes Kinn; dunkelbraune bis schwarze Haut; braunschwarze Augen; schwarzes Kraushaar

Nilotide

Verbreitung: Sumpfgegenden des oberen Nil.

Merkmale: sehr hochwüchsig, schlank, langbeinig; langer, schmaler Kopf; sehr stark ausladendes Hinterhaupt; rautenförmiges, hohes, schmales Gesicht; hohe, steile Stirn; große, mittelweite Lidspalte; schmale Nase mit geblähten Nasenflügeln; mäßig breite Lippen; vorstehender Oberkiefer (Prognathie) niemals vorkommend; markant profiliertes Kinn; dunkelbraune Haut; braunschwarze Augen; schwarzes Kraushaar. Viele Anklänge an die Äthiopiden.

Äthiopide

Verbreitung: Äthiopien, Ostafrika, Reste im ganzen nordafrikanischen Tropengürtel.

Merkmale: Übergangsform von Europiden zu Negriden; hochwüchsig, schlank, kräftig; langer, schmaler, hoher Kopf; hohes schmales Gesicht; leicht betonte Jochbeine; hohe, steile, schmale Stirn; große Lidspalte; fast europid hohe, schmale Nase; breite Lippen; europid profiliertes Kinn; dunkel-rotbraune Haut; braunschwarze Augen; schwarzes Kraushaar.

Von anderen Quellen bzw. Autoren (z. B. Carleton Coon[6]) wurden die Einwohner des Horns von Afrika als Hamiten bezeichnet und nicht den Negriden, sondern den Europiden zugeordnet.[7] (Siehe auch Darstellung aus Meyers Konversationslexikon.)

Palänegride

Verbreitung: Regenwaldzone Zentralafrikas.

Merkmale: mittelgroß, langrumpfig, untersetzt; mittellanger bis kurzer, breiter Kopf; niedriges, breites, rautenförmiges Gesicht; steile, hohe, schmale Stirn; mäßig große Lidspalte; sehr breite, trichterförmige Nase mit flacher Nasenwurzel; sehr breite Lippen mit besonders ausgeprägter Lippenleiste; stark vorstehender Oberkiefer (Prognathie); niedriges, häufig fliehendes Kinn; dunkelbraune Haut; braunschwarze Augen; schwarzes Kraushaar.

Kafride

Verbreitung: südafrikanische Trockenwaldzone, Ost-Afrika.

Merkmale: mittelgroß, kräftig; langer, schmaler, hoher Kopf; Hinterhaupt mäßig ausladend; niedriges, breites, weich gepolstertes Gesicht, bei den Männern rechteckig, bei den Frauen rundlich oval; leicht hervortretende Jochbeine; steile, gewölbte Stirn, Stirnhöcker ausgeprägt; kleine Lidspalte; mittelbreite, gerade Nase, mäßig geblähte Nasenflügel; breite Lippen; mäßig vorstehender Oberkiefer (Prognathie); profiliertes Kinn; hellere Haut als die übrigen Negriden; braunschwarze Augen; schwarzes Kraushaar.

Bambutide (Pygmäen)

Verbreitung: Urwälder des Kongo, insbesondere am Ituri.

Merkmale: zwerghafter Wuchs (Männer ca. 144 cm, Frauen ca. 137 cm), kindliche Proportionen: langer Rumpf, kurze Beine, großer Kopf; mittellanger, mittelbreiter Kopf; niedriges, breites, rundliches Gesicht; leicht vorstehende Jochbeine; steile, stark gewölbte Stirn; mittelgroße, weite Lidspalte; sehr breite, kurze Nase, sehr breite Nasenflügel, flache Nasenwurzel; mäßig breite Lippen mit konvexer Oberlippe; niedriges, leicht fliehendes Kinn; hellbraune Haut; dunkelbraune Augen; schwarzes, engspiraliges Haar (Filfil).

Khoisanide Buschmänner

Verbreitung: südafrikanische Trockengebiete, insbesondere die Kalahari.

Merkmale: kleinwüchsig (Männer ca. 155 cm, Frauen ca. 150 cm), kindlich proportioniert; bei den Frauen häufig Fettsteiß (Steatopygie); bei beiden Geschlechtern sehr häufig dreieckiges, angewachsenes Ohrläppchen; langer, schmaler Kopf; mittelhohes, breites, sehr flaches Gesicht; hervortretende Jochbeine; steile, breite Stirn, ausgeprägte Stirnhöcker; enge, geschlitzte Lidspalte; häufig Mongolenfalte (überhängendes Oberlid); niedrige, breite Nase mit knopfartiger Nasenspitze, extrem flache Nasenwurzel; mäßig breite Lippen mit konvexer Oberlippe; kleines, mäßig fliehendes Kinn; ledrige, gelblich-braune Haut; dunkelbraune Augen; schwarzes, engspiraliges Haar (Filfil).

Khoisanide Hottentotten

Verbreitung: südafrikanische Trockengebiete, Teil des Kaplandes.

Merkmale: kleinwüchsig, etwas größer als die Buschmänner; bei den Frauen fast immer Fettsteiß (Steatopygie); langer, mittelbreiter Kopf; mittelhohes, breites, rautenförmiges, flaches Gesicht; leicht hervortretende Jochbeine; steile, breite Stirn, ausgeprägte Stirnhöcker; enge, geschlitzte Lidspalte; häufig Mongolenfalte (überhängendes Oberlid); niedrige, breite Nase mit knopfartiger Spitze, flache Nasenwurzel; mäßig breite Lippen; kleines, spitzes, mäßig fliehendes Kinn; ledrige, gelblich-braune Haut; dunkelbraune Augen; schwarzes, engspiraliges Haar (Filfil).

Siehe auch

Literatur

  • Luigi Luca Cavalli-Sforza, P. Menozzi, A. Piazza: The history and geography of human genes. Princeton, New Jersey: Princeton University Press 1994 (englisch). (Darstellung aus neodarwinistischer Sicht)
  • Susan Arndt (Hrsg.): AfrikaBilder. Studien zu Rassismus in Deutschland. Unrast Verlag, Münster 2001, 2006. ISBN 3-89771-407-8
  • Susan Arndt und Antje Hornscheidt (Hrsg.): Afrika und die deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk. Unrast Verlag, ISBN 3-89771-424-8
  • U. Bitterli: Die „Wilden“ und die „Zivilisierten“. Die europäisch-überseeische Begegnung. dtv, München 1982
  • F. Böckelmann: Die Gelben, die Schwarzen und die Weißen. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 1999
  • Erwin Ebermann (ed.).: Afrikaner in Wien: zwischen Mystifizierung und Verteufelung. LIT-Verlag. 2003. ISBN 3-8258-5712-3
  • Grada Kilomba-Ferreira: Die Kolonisierung des Selbst – der Platz des Schwarzen. In: Hito Steyerl, Encarnación Gutiérrez Rodríguez (Hrsg.): Spricht die Subalterne deutsch? Migration und postkoloniale Kritik. Unrast Verlag, Münster 2003, ISBN 3-89771-425-6
  • Grada Kilomba-Ferreira: „Don't You Call Me Neger!“ – Das N-Wort, Trauma und Rassismus. In: ADB & cyberNomads (Hrsg.): TheBlackBook. Deutschlands Häutungen. IKO Verlag, Frankfurt am Main, London 2004
  • P. Martin: Schwarze Teufel, edle Mohren. Hamburger Edition, Hamburg 2001
  • K. Oguntoye, M. Opitz, D. Schultz (Hrsg.): Farbe bekennen. Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte. 2. Auflage, Orlanda, Berlin 1991, ISBN 3-922166-21-0

Weblinks

Einzelnachweise

  1. H. Autrum, U. Wolf (Hrsg.): Humanbiologie: Ergebnisse und Aufgaben. Auflage, Springer Berlin/Heidelberg/New York 1973, ISBN 978-3-540-06150-2. S. 76–82.
  2. UNESCO-Deklaration von Schlaining: Gegen Rassismus, Gewalt und Diskriminierung (PDF), 1995, Abschnitt II: „Zur Obsoletheit des Begriffes der ‚Rasse‘“.
  3. Ulrich Kattmann: Warum und mit welcher Wirkung klassifizieren Wissenschaftler Menschen? In: Heidrun Kaupen-Haas und Christian Saller (Hrsg.): Wissenschaftlicher Rassismus: Analysen einer Kontinuität in den Human- und Naturwissenschaften. Campus, Frankfurt a. M. 1999, ISBN 3-593-36228-7, S. 65–83.
  4. Oliver Trey: Die Entwicklung von Rassentheorien im 19. Jhdt.: Gobineau und sein Essai „Die Ungleichheit der Menschenrassen“. disserta, Hamburg 2014, ISBN 978-3-95425-684-6. S. 13, 28–29, 43.
  5. Johann Szilvassy u. Georg Kentner: Anthropologie. Entwicklung des Menschen Rassen des Menschen. Naturhistorisches Museum, Wien 1978, Online-Version.S. 130–133.
  6.  John P. Jackson Jr.: “In Ways Unacademical”: The Reception of Carleton S. Coon's The Origin of Races. In: Journal of the History of Biology. 34, Nr. 2, 2001, ISSN 0022-5010, S. 247–285, doi:10.1023/a:1010366015968 (http://link.springer.com/10.1023/A:1010366015968).
  7. Beschreibung im Brockhaus 1911
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