Mensch

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Leonardo da Vinci: Der vitruvianische Mensch, Proportionsstudie nach Vitruv 1492

Mit dem Wort Mensch (skrt. मनुष Manushya; hebr. אֱנוֹשׁ Enosch; griech. ἄνθρωπος anthropos, von anti und tropos, wörtlich: „der entgegen Gewendete“) wird ganz allgemein jene kosmische Entwicklungsstufe bezeichnet, auf der ein Wesen sein Ich und sein Selbstbewusstsein entwickelt, und dabei vom bloßen Geschöpf zum Schöpfer aufsteigt. Wir sind jetzt auf Erden dazu berufen, uns diesen Entwicklungsgrad zu erringen. Vor uns haben andere Wesenheiten diese Menschheitsstufe erreicht, nach uns werden weitere folgen. Der Begriff „Mensch“ geht damit weit über das hinaus, was wir heute allgemein darunter verstehen. Aus geisteswissenschaftlicher Sicht ist das Menschenreich der siebente und letzte jener sieben Lebenszustände, die auf jeder planetarischen Weltentwicklungsstufe durchlaufen werden müssen, deren erste der alte Saturn war. Die Erde, auf der wir leben, ist die vierte planetarische Entwicklungsstufe. Die heutige Menschheit steht aber hier erst auf der vierten dieser Lebensstufen, dem Mineralreich. Unsere irdische Menschheitsentwicklung ist daher noch lange nicht vollendet, wird sich aber in nicht so ferner Zukunft nicht mehr auf der physisch-mineralischen Ebene abspielen, sondern auf höheren Lebenstufen.

Im Zuge seiner jetzigen Entwicklung schreitet der Mensch durch wiederholte Erdenleben, zwischen denen er ein rein seelisch-geistiges Dasein im Leben zwischen Tod und neuer Geburt führt. Auf Erden lebt er heute als Homo sapiens (lat. der „kluge, verständige, vernuftbegabte Mensch“). Er wird entwicklungsgeschichtlich und anatomisch in der biologischen Systematik als einzige noch lebende Art der Gattung Homo aus der Familie der Hominiden zugeordnet, die zur Ordnung der Primaten zählt. Die bislang ältesten Funde des Archaischen Homo sapiens, der frühesten fossil belegten Entwicklungsstufe des modernen Menschen, stammen aus Afrika und werden auf ein Alter von rund 300.000 Jahren datiert.

Auf die morphologische Verwandtschaft des Menschen mit den höheren Tieren hatte schon Goethe hingewiesen, was auch Charles Darwin, der Begründer der modernen Evolutionslehre, zu würdigen wusste. Anders als Darwin und seine Nachfolger sah Goethe aber auch den grundsätzlichen Unterschied zwischen Mensch und Tier, der für ihn jedoch nicht in anatomischen Details, sondern in der Gesamtheit der seelischen und geistigen Fähigkeiten des Menschen begründet war.

Goethes Ansichten wurden durch Rudolf Steiner weiter vertieft. Das Menschenwesen erschöpft sich aus anthroposophischer Sicht nicht in dem sinnlich sichtbaren stofflichen Leib, sondern verfügt darüber hinaus noch über höhere, nur übersinnlich wahrnehmbare leibliche, seelische und geistige Wesensglieder. Was so dem hellsichtigen Blick zunächst als Vielheit erscheint, bildet aber für die höhere Erkenntnis eine Einheit (vgl. GA 7, S. 112), durch die sich das Ich des Menschen, d.h. seine Individualität, entfalten kann.

Die dreifache Bedeutung des Wortes «Mensch»

Das auf das deutsche und niederländische Sprachgebiet beschränkte Substantiv «Mensch» leitet sich von der indogermanischen Wortwurzel *manu- (Mensch, Mann, Manu = „Stammvater der Menschheit“) ab, hängt aber auch mit der Verbalwurzel *men- („denken, überlegen, ermahnen“) zusammen und bezeichnet so den vernunftbegabten Menschen. Dem entspricht im Lateinischen das Wort manus (die Hand). Zusammenfassend wird damit der Mensch als der vernüftig bzw. verständig Handelnde charakterisiert - und der sich dadurch sein Schicksal, sein Karma, selbst bereitet.

Der sagenhafte König Menes (um 3000 v.Chr.) gilt als Begründer der altägyptischen Kultur. Als Manu werden jene großen Eingeweihten und Menschheitsführer bezeichnet, die aufgrund ihrer hohen geistigen Einsicht befähigt sind, die Menschheit von einem Zeitalter (→ Weltentwicklungsstufen) zum nächsten hinüberzuführen (etwa von der alten Atlantis zu unserem nachatlantischen Zeitalter; namentlich die indischen Sintfluterzählungen sprechen von diesem großen Manu, der mit dem biblischen Noah gleichzusetzen ist). Mensch in diesem Sinne ist der, dem die Himmlische Speisung, das Himmlische Manna zuteil geworden ist. In der germanischen Märchen- und Sagenwelt werden die Geister der Verstorbenen, die nun nicht mehr dem irdischen, sondern dem geistigen Daseinsbereich angehören, als Manen bezeichnet. Es wird damit hingewiesen auf das erste geistige Wesensglied des Menschen, auf Manas oder Geistselbst:

„«Menes» nannten die Ägypter den, der die erste «menschliche» Kultur inauguriert hat; und sie deuten zu gleicher Zeit an, daß der Mensch dadurch auch in die Möglichkeit kam, zu irren. Denn von da ab war er angewiesen auf das Werkzeug seines Gehirns. Daß der Mensch in Irrtum verfallen konnte, wird dadurch symbolisch angedeutet, daß in die Zeit, in welcher die Menschen von den Göttern verlassen wurden, die Stiftung des Labyrinthes versetzt wird, das ein Abbild ist der Windungen des Gehirns als des Werkzeuges für die eigenen Menschengedanken, in welchen sich der Träger dieser Gedanken verlieren kann. Manas nannten die Orientalen den Menschen als denkendes Wesen, und Manu heißt der erste Hauptträger des Denkens. Minos nannten die griechischen Völker den ersten Ausgestalter des menschlichen Gedankenprinzips, und auch an Minos knüpft sich die Sage vom Labyrinth, weil die Menschen fühlten, wie sie seit seiner Zeit von der unmittelbaren göttlichen Leitung allmählich in eine solche Leitung übergingen, durch welche das «Ich» in anderer Art die Einflüsse der höheren Geisteswelt erlebt.“ (Lit.:GA 15, S. 41f)

Vieles Ungeheures lebt, und doch
Nichts Ungeheures als der Mensch;
Denn auf der dunklen Flut der See,
Vom winterlichen Süd umhergeschleudert,
Durchdringt er aller Wogen Schwall.
Und selbst der Götter Höchste, die Erde,
Die unermüdlich Unerschöpfliche,
Er reißt sie auf mit seinem Pflug
Und seiner Rosse Kraft,
Von Jahr zu Jahr.

Flüchtig gesinnte Vögel
Fängt er listig leicht,
Wie aller wilden Tiere Art
Und auch des Meeres Brut
In enggesponn‘nen Netzen.
Der witzbegabte Mensch
Stellt auch das flinke Wild
Im Wald und auf der Bergeshöh‘
Und zwingt die mähn’gen Rosse
Unters Joch und selbst den
nimmermüden Bergstier.

Die Rede und des luft‘gen Sinns
Gedanken lernet er und
Ordnet Städte, um leicht
Dem bittern Frost und
Des Regens Geschossen zu entfliehn,
Durch solchen Rat geübt,
Trifft ihn das Künftge nimmermehr.
Dem Tod allein entflieht er nicht,
wenn er auch schwerer Krankheit
oft entrinnt.

Mit listiger Künste Geschick
Und über alles Erhoffte begabt
Wendet er sich bald zum Argen,
Bald zum Guten,
Ehrt die Gesetze und das
Bei den Göttern beschworne Recht,
Hochgeachtet in der Stadt.
Ehrlos aber ist, wer sich
Dem Edlen nicht gesellt
Und trotzig Frevel übt.
Doch niemand sitzt an meinem Herd
Noch hört er meinen Rat,
Der solches tut.

Sophokles: Antigone[1]

Das griechische Substantiv «Anthropos» (griech. ἄνθρωπος) bezeichnet den aufgerichteten, den aufrecht schreitenden Menschen, wörtlich den entgegen (anti) Gewendeten (tropos). Der Mensch, der sich gerade durch seine aufrechte Haltung am deutlichsten vom Tier unterscheidet, spannt so gleichsam sein Wesen zwischen Erde und Himmel auf und empfängt von beiden Seiten, von der sinnlichen und von der geistigen Welt, die Impulse, die seine verstandesbegabte Seele erfüllen und die er durch die Kraft seines individuellen Ichs aktiv und eigenständig miteinander verbinden muss. Der Anthropos löst sich aus der Natur heraus, überwindet die Naturinstinkte, und tritt zugleich auch der Götterwelt als eigenständiges Wesen entgegen, das sich in seiner Seele einen eigenen, auf den Verstand gegründeten festen Standpunkt schafft, von dem aus er die Welt betrachtet und beurteilt. Es wird damit auf die Entwicklung der Verstandesseele hingewiesen, die ihre Blütezeit in der griechisch-römischen Kultur entfaltete.

«Homo», human, bedeutet irdisch, zur Erde, zur Sippe gehörig und verweist auf die selbe indogermanische Sprachwurzel *ghdem-, *gh(d)om- wie das Wort Humus, die fruchtbare Ackererde. Im Griechischen entspricht dem das Wort chton = Erde; der alte Name, den die Ägypter ihrem Land gegeben haben, kemi oder chemi (die Wurzel unseres modernen Begriffs «Chemie», leitet sich ebenfalls davon ab und bezeichnete eigentlich den fruchtbaren Schlamm, den die Nilschwemme regelmäßig zurückließ. Auch die biblische Benennung des ersten Menschen, Adam, das bedeutet rote Erde, weist wohl in dieselbe Richtung.

„Mensch - Manushya: im Sanskrit das Wort für Mensch. Damit ist aber auch angeschlagen, mit diesem Wort Manushya, die Grundempfindung, die man mit dem Menschentum bei einem großen Teil der Menschen verband. Worauf bezieht man sich nun, wenn man dem Menschen den Namen Manushya gibt, wenn man also diesen Wortstamm verwendet, um den Menschen zu bezeichnen, worauf bezieht man sich? Man bezieht sich auf das Geistige im Menschen, man beurteilt vor allen Dingen den Menschen als ein geistiges Wesen. Wenn man ausdrücken will: der Mensch ist Geist, und das andere ist nur der Ausdruck, die Offenbarung des Geistes, - wenn man also in erster Linie Wert legt auf den Menschen als Geist, so sagt man «Manushya».

Nach dem, was wir vorbereitend besprochen haben, kann es nun eine andere Anschauung geben. Man kann vor allen Dingen sein Hauptaugenmerk darauf lenken, wenn man vom Menschen redet, von der Seele zu sprechen. Und dann wird man, ich möchte sagen, weniger Rücksicht darauf nehmen, daß der Mensch Geist ist. Man wird darauf Rücksicht nehmen, daß der Mensch Seele ist, und das Äußere, Physische, dasjenige, was auch mit dem Physischen zusammenhängt, mehr in den Hintergrund treten lassen bei der Menschheitsbezeichnung. Man wird dann die Bezeichnung des Menschen vor allen Dingen hernehmen von dem, was ausdrückt, daß im Menschen etwas Seelenhaftes lebt, das sich im Auge ausdrückt, das sich ausdrückt darin, daß sich des Menschen Haupt nach der Höhe hebt. Prüft man das griechische Wort Anthropos auf seinen Ursprung, so drückt es ungefähr das aus. Konnte man sagen: diejenigen, die mit Manushya oder einem ähnlich klingenden Tongefüge den Menschen bezeichnen, sie sahen vor allen Dingen auf den Geist, auf das aus der geistigen Welt Heruntersteigende, - so muß man sagen: diejenigen, die den Menschen bezeichnen mit einem Worte, das an das griechische Wort Anthropos anklingt, vor allen Dingen die Griechen selber, sie drücken das Seelenhafte aus im Menschen.

Ein Drittes ist aber möglich. Es ist möglich, daß man vor allen Dingen darauf sieht, daß im Menschen das Äußerliche, Erdgeborene da ist, das Leibliche, dasjenige, was auf physischem Wege erzeugt wird. Dann wird man den Menschen bezeichnen mit einem Worte, das gewissermaßen heißt: der Erzeugende oder Erzeugte. Das wird drinnenliegen in dem Worte. Prüft man das Wort homo auf seinen Ursprung, dann liegt das eben Geschilderte darinnen.“ (Lit.:GA 175, S. 302f)

Der zweifache Ursprung des Menschen

„Auf dem Saturn ist der physische Menschenleib in verschiedenen Stufen ausgebildet worden. Er hätte damals noch nicht Träger eines Ätherleibes sein können. Dieser ist auch erst während des Sonnenlaufs dazugekommen. Dabei wurde zugleich in den aufeinanderfolgenden Sonnenkreisläufen der physische Leib so umgestaltet, daß er Träger dieses Ätherleibes sein konnte, beziehungsweise daß der Ätherleib in dem physischen Leibe arbeiten konnte. Während der Mondentwickelung kam der Astralleib hinzu; und wieder wurden der physische Leib und der Ätherleib so umgestaltet, daß sie geeignete Träger und Werkzeuge abgeben konnten für den auftretenden Astralleib. Der Mensch ist somit auf dem Monde ein Wesen, zusammengesetzt aus physischem Leib, Ätherleib und Astralleib...

Gleichzeitig spielte sich während der drei großen Kreisläufe auf Saturn, Sonne und Mond noch etwas anderes ab. Während des letzten Saturnkreislaufes wurde der Geistesmensch (Atma) mit Hilfe der Geister des Willens (Throne) gebildet. Während des vorletzten Sonnenkreislaufes kam zu diesem unter Beistand der Cherubim der Lebensgeist (Buddhi) hinzu. Und während des drittletzten Mondenkreislaufes vereinigte sich mit den beiden durch Hilfe der Seraphim das Geistselbst (Manas). Es sind also eigentlich während dieser drei großen Kreisläufe zweierlei Menschenursprünge entstanden: ein niederer Mensch, bestehend aus physischem Leib, Ätherleib, Astralleib, und ein höherer Mensch, bestehend aus Geistesmensch (Atma), Lebensgeist (Buddhi) und Geistselbst (Manas). Die niedere und die höhere Menschennatur gingen zunächst getrennte Wege.

Die Erdentwickelung ist dazu da, die beiden getrennten Menschenursprünge zusammenzuführen.“ (Lit.:GA 11, S. 196ff)

Auf Erden, wo sich die obere und die untere Dreiheit berühren, springt der geistige Funke über, der das individuelle menschliche Ich entzündet und damit den Anstoß für die eigenständige geistige Entwicklung des Menschen gibt.

Die Abstammung der Tiere vom Menschen

Zeichnung aus GA 95, S. 157
Zeichnung aus GA 95, S. 157

Im Gegensatz zur vorherrschenden Interpretation der Evolution stammt aus anthroposophischer Sicht nicht der Mensch von den Tieren ab, sondern es verhält sich genau umgekehrt. Der Mensch, natürlich noch nicht in seiner heutigen Gestalt, hat die Tiere im Zuge seiner Entwicklung aus seinem Wesen ausgeschieden.

„Das gesamte Tierreich war einstmals im Menschen darinnen, das heißt der Mensch stand auf einer Stufe zwischen dem heutigen Tierreich und Menschenreich. Um sich weiter entwickeln zu können, mußte er die Teile aus sich ausscheiden, die seine Entwickelung nicht mitmachen konnten. Er schied damals das aus, was dann heute unser Tierreich bildet. Ursprünglich also waren die Tiere weit weniger vom Menschen unterschieden als jetzt. Sie degenerierten dann allmählich. Nun ging das Ausscheiden des Tierreiches aber nicht plötzlich vor sich, sondern ganz allmählich. Erst die Fische, dann Reptilien und Amphibien, dann Vögel und Säugetiere. Und bei diesen Gruppen gab es ja auch wieder nur ein allmähliches Ausscheiden. So wurden die Raubtiere zum Beispiel früher ausgeschieden als die Affen. Als nun die Löwen ausgeschieden wurden, da nannte man das Sternbild, in dem die Sonne stand, Löwe, und als der Mensch die Stiernatur ausschied, nannte man das Sternbild Stier. Die Namen der vier apokalyptischen Tiere in der Offenbarung des Johannes deuten auf dasselbe hin. Sie heißen Adler, Löwe, Stier, Mensch.“ (Lit.:GA 95, S. 157f)

Vom Gruppen-Ich zum individuellen Ich

Zweites apokalyptisches Siegel

„Wenn wir nämlich zurückschauen in die alten Zeiten der Menschheit, so finden wir überall, daß das gegenwärtige Ich sich herausentwickelt hat aus solchem Gruppenbewußtsein, Gruppen-Ich, so daß für den Seher, wenn er zurückschaut, die einzelnen Menschen immer mehr zusammenströmen in die Gruppenseelen. Nun gibt es hauptsächlich vier Typen von Gruppenseelen, vier Urbilder von Gruppenseelen. Wenn man alle verschiedenen Gruppenseelen der verschiedenen Seelen nimmt, so haben sie eine gewisse Ähnlichkeit, aber auch Verschiedenheiten. Teilt man sie ein, so erhält man vier Gruppen, vier Urbilder. Man bekommt sie deutlich zu sehen, wenn man hellseherisch zurückschaut in jene Zeit, als der Mensch noch nicht im Fleische war, noch nicht herabgestiegen war auf die Erde. Denn jetzt müssen wir uns genauer darstellen den Moment, wo der Mensch herabgestiegen ist ins Fleisch aus den geistigen Regionen. Wir können diesen Moment nur in großen Symbolen schildern.

Einmal gab es eine Zeit, wo unsere Erde eine viel weichere Materie hatte als heute, wo noch nicht Fels und Stein so verfestigt waren wie heute, wo die Pflanzenformen noch anders aussahen, wo das Ganze wie ein Urmeer in Wasserhöhlen eingebettet war, wo Luft und Wasser nicht geschieden waren, wo von all den Wesen, die heute auf der Erde wohnen, Tiere und Pflanzen im Wasser ausgebildet waren. Als die mineralischen Wesen anfingen ihre heutige Form zu bekommen, da konnte man sagen: Der Mensch trat aus der Unsichtbarkeit hervor. So stellte er sich dem Einzuweihenden dar. Außen mit einer Art von Schale umgeben, stieg er aus den Regionen herunter, die heute die Luftregionen sind. Der Mensch war noch nicht dicht physisch da, als das Tier schon im Fleisch vorhanden war. Er war eine feine Luftwesenheit, selbst in den lemurischen Zeiten noch. Und er hat sich so herausgegliedert, daß sich das hellseherische Bild darstellt mit den vier Gruppenseelen: auf der einen Seite wie ein Löwenbild, auf der anderen wie das Bild eines Stieres, oben wie das eines Adlers, und in der Mitte unten etwas, was schon menschenähnlich ist. So zeigt sich das hellseherische Bild. So kommt aus dem Dunkel des Geisterlandes heraus der Mensch. Und das, was ihn an Kraft ausgebildet hat, das erscheint in einer Art Regenbogenbildung. Die mehr physischen Kräfte umgeben die ganze Bildung dieses Menschen wie ein Regenbogen. — Man muß auf den verschiedensten Gebieten und in der verschiedensten Weise dieses Menschwerden schildern. Jetzt wird es geschildert, wie es dem Forscher im Rückblick erscheint: wie diese vier Gruppenseelen sich herausgestaltet haben aus dem gemeinsamen Göttlich-Menschlichen, das heruntersteigt. Man hat von jeher diesen Moment symbolisch in die Form gebracht, die Sie auf dem zweiten der sogenannten sieben okkulten Siegel dargestellt finden. Das ist die symbolische Darstellung, sie ist aber mehr als ein bloßes Symbolum. Da haben Sie herauskommend aus dem unbestimmten Geistigen diese vier Gruppenseelen, den Regenbogen ringsherum und eine Zwölfzahl. Wir müssen auch verstehen, was diese Zwölfzahl bedeutet.

Wenn Sie das herauskommen sehen, was eben geschildert worden ist, so haben Sie hellseherisch das Gefühl: Das ist von etwas umgeben, was ganz anderer Wesenheit und Art ist als das, was da heraustritt aus dem unbestimmten Geistigen. Und das, wovon es umgeben ist, das symbolisierte man in alten Zeiten in dem Tierkreis, in den zwölf Zeichen des Tierkreises. — Der Moment des Eintretens in das Hellsehen ist noch mit mancherlei anderen Erlebnissen verknüpft. Das erste, was der, dessen Ätherleib heraustritt, wahrnimmt, ist: er kommt sich vor, wie wenn er größer und größer würde und sich ausdehnte über das, was er da wahrnimmt. Es kommt der Moment, wo der Eingeweihte sich sagt: Ich sehe nicht bloß diese vier Gestalten, sondern ich bin da drinnen, ich habe mein Wesen darüber ausgedehnt. — Er identifiziert sich damit. Er nimmt das wahr, was durch die zwölf Sternbilder, durch die Zwölfzahl symbolisiert wird.“ (Lit.:GA 104, S. 58ff)

Wahrhaft Mensch sein

Der Mensch ist nur dann wahrhaft Mensch, wenn er seine Affekte, Emotionen und Leidenschaften durch sein Ich zu beherrschen vermag, ohne sie durch falsche Askese unterdrücken zu müssen.

„Der Mensch ist nur dann wahrhaft Mensch — obwohl er diese Menschlichkeit natürlich nicht in jedem Moment seiner Evolution haben kann, sondern sich erst erringen muß -, der Mensch ist nur dann wahrhaft Mensch, wenn in ihm eine völlige Harmonie zwischen dem Prinzip des Materiellen und des Spirituellen vorhanden ist, das heißt, wenn das Materielle nicht heraufspielt in vom Spirituellen unbeherrschte Emotionen. Das ist es gerade, um was es sich handelt und das müssen wir nur ja recht gut verstehen. Denn auch der Apokalyptiker könnte nicht so reden wie er redet, wenn er voraussetzen würde, daß Affekte, Leidenschaften und alles, was aus der Willenssphäre und der Gemütssphäre kommt, von vornherein ganz unberechtigt wäre. Gerade die Affekte und Leidenschaften für unberechtigt zu erklären, gerade dieses asketische Streben im falschen Sinne, das entspringt auch wiederum dem Emotionellen, dem Leidenschaftlichen. Denn derjenige, der sich nicht stark genug fühlt, seine Leidenschaften von Spirituellem so zu durchdringen, daß er sie in den Dienst der guten Weltevolution stellt, der huldigt eben seiner Emotion der Schwäche. Auch wenn er die gute Evolution will - wenn er in seiner Gemütssphäre verarmt, wird er seiner Schwäche huldigen.“ (Lit.:GA 346, S. 154)

Der Mensch als vierte bzw. zehnte Hierarchie

Der Mensch ist dazu berufen, sich künftig als zehnte Hierarchie in den Chor der geistigen Wesen einzureihen und als Geist der Freiheit und Liebe dem Kosmos völlig neue Eigenschaften einzugliedern. Genauer besehen sind die Menschen sogar von Anfang an dazu ausersehen, nach den drei Gruppen der himmlischen Hierarchien, die alle bekannten neun Engelchöre umfassen, eine neue vierte Hierarchie zu eröffnen - in drei Abstufungen des Menschlichen.

„Der Mensch selber ist die vierte Hierarchie. Aber beileibe nicht das hat man verstanden unter dieser vierten Hierarchie, was jetzt als zweibeiniges, alterndes, so höchst sonderbares Wesen herumgeht in der Welt, denn dem eigentlich Wissenden ist dazumal gerade der gegenwärtige Mensch als ein sonderbares Wesen vorgekommen. Sie haben gesprochen von dem ursprünglichen Menschen vor dem Sündenfall, der noch durchaus in einer solchen Form vorhanden war, daß er ebenso Macht über die Erde hatte, wie Angeloi, Archangeloi, Archai Macht über das Mondendasein, wie die zweite Hierarchie Macht über das Sonnendasein, die erste Hierarchie Macht über das Saturndasein hatte. Man sprach von dem Menschen in seinem ursprünglichen irdischen Dasein und konnte da von dem Menschen als der vierten Hierarchie sprechen. Und mit dieser vierten Hierarchie kam, allerdings als eine Gabe der oberen Hierarchien, aber wie etwas, was die oberen Hierarchien erst wie ein Besitztum gehabt haben, das sie gehütet haben, das sie nicht selber brauchten: es kam das Leben. Und in die farbenschillernde Welt, die ich Ihnen also in Andeutungen geschildert habe, kam das Leben hinein.“ (Lit.:GA 233a, S. 23f)

„Was haben wir denn eigentlich im Grunde genommen bisher Mensch genannt? — Mensch haben wir genannt eine gewisse Entwickelungsstufe. Wir haben gefunden, daß die Geister der Persönlichkeit Menschen auf dem alten Saturn waren; wir haben gefunden, daß sogar die Throne einmal Menschen gewesen sein müssen; haben gefunden, daß der Mensch sich weiterentwickelt, daß er aufsteigt in höhere Wesenheiten; wir haben sogar die ersten Etappen des Aufstiegs kennengelernt in den Engeln, Erzengeln; haben in diesen Wesenheiten kennengelernt Wesen, die etwas hinopfern. Wir haben den Anfang des Opfers gesehen, der im höchsten Sinne vorhanden ist bei den Thronen...

So gliedert sich uns zusammen der Begriff der Entwickelung von dem Punkte aus, wo man nimmt, bis zu demjenigen, wo ausgeströmt, geschaffen wird. Wir sehen den Begriff des Schöpfers vor unserem geistigen Auge erstehen, und da sagen wir uns: also von dem Geschöpf zum Schöpfer entwickelt sich ein jegliches Wesen. Nun aber, Erzengel, sie haben sich auf der alten Sonne zum Menschen entwickelt, Geister der Persönlichkeit auf dem alten Saturn, Engel auf dem alten Monde, wir Menschen auf der Erde, und so wird es fortgehen; es werden sich immer, immer Wesen zu Menschen entwickeln. Geht denn das alles so endlos fort? Ist das wirklich nur ein ewiges Ablaufen von Kreisläufen, durch die sich zum Beispiel auf der Sonne wiederholt, was auf dem Saturn schon da war, nur daß eine Anzahl von Wesenheiten später darankommt? Denn die Feuergeister kommen eine Stufe später als die Geister der Persönlichkeit. Ist das wirklich alles so, daß immer Wesen aus hilflosen Geschöpfen des Anfangs sich hinaufentwickeln zu solchen, die sich opfern können? Das ist nicht der Fall, das ist durchaus nicht der Fall! Es entsteht eben die große Frage: Ist das Menschentum auf dem Saturn, das die Geister der Persönlichkeit geführt haben, das Menschentum der Erzengel auf der Sonne, das der Engel auf dem Mars, ist das dasselbe Menschentum wie dasjenige, das wir hier auf der Erde führen? Sehen wir, wenn wir die Natur der Engel zum Beispiel ins Auge fassen, nur in ihnen das Bild unserer eigenen nächsten Epoche, der Jupiterepoche? Sehen wir in den Feuergeistern nur das Bild derjenigen Wesenheiten, die wir auf der Venus sein werden? Ist wirklich Anlaß vorhanden, sich zu sagen: Da stehen wir auf unserer Erde, wir werden höhere Stufen erreichen in der Weltentwickelung, wir werden selbst heraufsteigen in der Hierarchie, aber die Wesen, zu denen wir werden können, sie sind schon alle da, und unsere eigene Stufe ist ja früher von anderen Wesenheiten beschritten worden! Ist das so ? Das ist die große Konsequenzfrage, die eigentlich jedem, der unbefangen die Vorträge hat auf sich wirken lassen, vor die Seele treten muß. Haben wir es bloß mit einem Menschenwerden zu tun, das sich ewig wiederholt, dann sind wir wie die Geister der Persönlichkeit auf dem alten Saturn, wie die Erzengel auf der alten Sonne, wie die Engel auf dem Mars. Für uns mag das wichtig sein, für die höheren Götter wäre es nur eine Vermehrung ihrer Geschöpfe, und sie hätten nichts Sonderliches als Fortschritt erreicht. Eine andere Frage ist es aber: Werden sich die Menschen vielleicht einmal gerade dadurch, daß sie auf der Erde Mensch werden, zu Wesenheiten entwickeln, die etwas können, was die Engel nicht können, was auch die Erzengel und die Geister der Persönlichkeit nicht können? Hat die ganze Schöpfung etwas dazugelernt dadurch, daß sie nach den Erzengeln und Engeln Menschen erzeugt hat? Hat die Schöpfung einen Fortschritt gemacht? Hat der Mensch dadurch, daß er sich dazu bequemt hat, tiefer herunterzusteigen, hat er vielleicht dadurch Anwartschaft darauf, noch höher hinaufzusteigen? Diese Frage stellen wir uns einmal als eine Art Konsequenzfrage hin.“ (Lit.:GA 110, S. 152ff)

Siehe auch

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Sophokles: Antigone, freie Fassung des ODYSSEE Theaters nach der Übersetzung von K.W.F. Solger, S. 18