Kleinhirn

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Das Kleinhirn oder Cerebellum ist ein Teil des Gehirns von Wirbeltieren. Dort lagert es sich dem Hirnstamm hinten auf und befindet sich unterhalb der Okzipitallappen des Großhirns in der hinteren Schädelgrube. Zusammen mit dem verlängerten Mark (Myelencephalon) und der Brücke (Pons) bildet es das Rautenhirn (Rhombencephalon). Kleinhirn und Brücke werden als Hinterhirn (Metencephalon) zusammengefasst.

Das Kleinhirn ist beim Menschen dem Volumen nach der zweitgrößte Teil des Gehirns, besitzt aber eine deutlich höhere Zelldichte als das Großhirn. Zwar macht das menschliche Kleinhirn beim Erwachsenen mit etwa 150 g nur etwa ein Zehntel des durchschnittlichen Hirngewichts aus, doch enthält es mit knapp 70 Milliarden Nervenzellen etwa vier Fünftel aller zentralnervösen Neuronen.[1] Die Oberfläche der Kleinhirnrinde ist in feine blattförmige Windungen (Folia cerebelli) gefaltet und entspricht etwa 50–75 % der Rindenoberfläche der achtmal größeren Großhirnhemispären.

Das Kleinhirn erfüllt wichtige Aufgaben bei der Steuerung der Motorik: Es ist zuständig für Koordination, Feinabstimmung, unbewusste Planung und das Erlernen von Bewegungsabläufen. Zudem wird ihm neuerdings auch eine Rolle bei zahlreichen höheren kognitiven Prozessen zugeschrieben.

Lage

Sagittalschnitt des Gehirns (Rindenabschnitte des Kleinhirns sind nummeriert)

Das Kleinhirn liegt in der hinteren Schädelgrube. Es ist dem Hirnstamm (Mittelhirn, der Brücke und dem verlängerten Mark) rückenseitig (dorsal) aufgelagert und mit diesem über drei Kleinhirnstiele (Pedunculus cerebellaris inferior, medius und superior) auf jeder Seite verbunden, durch welche die Faserverbindungen verlaufen. Nach oben und unten spannen sich zum Hirnstamm dünne Strukturen aus weißer Substanz aus, oberes und untere Marksegel (Velum medullare superius und inferius, bei Tieren craniale und caudale).

Zwischen Kleinhirn und Hirnstamm, also bauchseitig (ventral), begrenzt von Medulla oblongata und Pons, seitlich von den Kleinhirnstielen, dorsal von den Marksegeln und dem Kleinhirn, liegt einer der mit Liquor gefüllten Hohlräume des Gehirns, der vierte Ventrikel, dessen Boden als Rautengrube (Fossa rhomboidea) bezeichnet wird.

Das Kleinhirn wird nach oben (bei Tieren nach vorn) vom Kleinhirnzelt (Tentorium cerebelli), einer Duplikatur der Dura mater, vom Großhirn getrennt, dessen Okzipitallappen direkt darüber (bei Tieren davor) liegt. Das Kleinhirn liegt in der hinteren Schädelgrube, wo es mit den beiden als Kleinhirntonsillen bezeichneten Fortsätzen nach ventral bis kurz vor das Foramen magnum reicht.

Im Bereich zwischen dem Kleinhirn und dem Unterrand des ventral davor liegenden Pons (Kleinhirnbrückenwinkel) treten nach schräg ventral die beiden Hirnnerven Nervus facialis und Nervus vestibulocochlearis aus. Hier können von der Hülle des Nervus vestibulocochlearis ausgehend Kleinhirnbrückenwinkeltumore (Akustikusneurinome) entstehen.

Aufbau

Beim Kleinhirn bezeichnet man wie beim Großhirn die nach außen gewandte, nervenzellhaltige Schicht als Rinde (Cortex), die im inneren liegende weiße Substanz (nur Faserverbindungen, keine Zellleiber) als Mark (Medulla). Im Mark zu findende Ansammlungen von Nervenzellen sind Kerne.

Makroskopisch gliedert sich das Kleinhirn in zwei Teile:

  • Der Wurm (Vermis) ist eine in der Mitte liegende, etwa ein bis zwei Zentimeter breite, sagittal einmal ganz herumlaufende Struktur,
  • die zwei Hemisphären wölben sich beiderseits des Wurms vor. Sie sind in jeder Richtung größer und breiter als der Wurm.

Zusätzlich findet sich vorne unten, an der dem Hirnstamm zugewandten Seite, vom Wurm ausgehend, zu jeder Seite ein armähnlicher Ausläufer, der wie mit zwei Tatzen endet. Das ist der Flocculus, der zusammen mit dem angrenzenden Wurmteil, dem Nodulus, zum sowohl funktionell als auch entwicklungsgeschichtlich deutlich abgrenzbaren Lobus flocculonodularis zusammengefasst wird.

Deutlich sichtbar ist die Kleinhirnrinde in regelmäßigem Abstand von fast parallel laufenden Furchen durchzogen. Sie dienen wie die Windungen (Gyri) des Großhirns der Oberflächenvergrößerung, verlaufen aber immer transversal (von links nach rechts) und verleihen dem Kleinhirn sein charakteristisches Aussehen. Im Querschnitt ähnelt diese aufgefaltete Anordnung einem Baum (Arbor vitae, Lebensbaum), entsprechend bezeichnet man einen zwischen zwei Furchen vorgewölbten Rindenabschnitt als Folium (lat. für Blatt).

Sowohl den Wurm als auch die Hemisphären kann man, einmal herumlaufend, in zahlreiche Abschnitte unterteilen, die aber wenig funktionelle Aussage haben. Lediglich die transversale Einteilung in einen oberen Lobus anterior und einen größeren, unteren Lobus posterior wird häufiger verwendet.

Blick auf das Kleinhirn von oben-hinten
A: Lobus anterior
B: Lobus posterior
C: Vermis
D: Hemisphären
Blick auf das Kleinhirn von unten-vorne
7: Kleinhirntonsillen
10: Flocculus

Im Mark des Kleinhirns unterscheidet man auf jeder Seite vier Kerne, von innen nach außen:

Die Nuclei dentati sind sehr viel größer als die anderen Kerne und auch stammesgeschichtlich am jüngsten. Nucleus globosus und emboliformis werden zusammen auch als Nucleus interpositus bezeichnet.

Gliederung

Vereinfachte Gliederung des Kleinhirns mit seinen Afferenzen und Efferenzen

Nach verschiedenen Kriterien lässt sich das Kleinhirn in jeweils drei bis vier Abschnitte einteilen. Am naheliegendsten ist die Einteilung nach anatomischen Abschnitten. Die funktionell bedeutendste und gebräuchlichste Unterscheidung ist aber die nach den Afferenzen, bei der das Kleinhirn nach der Herkunft der zuführenden Bahnen in drei Bereiche eingeteilt wird:

  • Das Vestibulocerebellum, anatomisch der Lobus flocculonodularis, ist mit den Vestibulariskernen, den Hirnstammzentren des Gleichgewichtsorgans, verbunden;
  • das Spinocerebellum, anatomisch der Wurm und angrenzende Bereiche, empfängt u. a. Informationen über Körperstellung aus dem Rückenmark;
  • das Pontocerebellum, anatomisch den seitlichen Hemisphären entsprechend, empfängt die Fasern, die über die Brücke (Pons) aus dem Großhirn kommen.

Häufig synonym gebraucht ist die Einteilung nach der Phylogenese, die sich nach der stammesgeschichtlichen Entwicklung des Kleinhirns richtet:

  • Das Archicerebellum (entspricht dem Vestibulocerebellum) ist der evolutionsgeschichtlich älteste, bei allen Wirbeltieren vorhandene Teil des Kleinhirns,
  • das Paläocerebellum (entspricht dem Spinocerebellum), stellt den mit der Entwicklung von Gliedmaßen verbundenen nächsten evolutionären Schritt dar, während
  • das Neocerebellum (Pontocerebellum) den Anforderungen an komplexe Bewegungsabläufe geschuldet ist und nur bei höheren Säugern vorhanden bzw. in Ausmaß und Umfang der Faserverbindungen bei Primaten und dann beim Menschen einzigartig ist.

Ein weiteres mögliches Kriterium unterteilt das Kleinhirn nach den Kleinhirnkernen, in die die jeweiligen Abschnitte projizieren. Dadurch wird das Spinocerebellum in zwei funktionell unterschiedliche Gebiete unterteilt.

Auch wenn die oben genannten Einteilungen nach den verschiedenen Kriterien synonym gebraucht werden, so sind doch die beschriebenen Gebiete fast nie völlig deckungsgleich. Ausnahme ist das Vestibulocerebellum – Archicerebellum – Lobus flocculonodularis, wo die Übereinstimmung weitgehend vorhanden ist. In den anderen Gebieten kann man oft nur eine Überschneidung in der Größenordnung von achtzig Prozent feststellen.

Afferenzen Phylogenese Anatomie Efferenzen Anatomie (andere Richtung)
Vestibulocerebellum Archicerebellum Lobus flocculonodularis Nucleus fastigii und direkt zu den Vestibulariskernen Lobus flocculonodularis
Spinocerebellum Paläocerebellum Vermis Nucleus fastigii Lobus anterior
mediale Hemisphären (auch paravermale oder intermediäre Zone) Nucleus globosus und Nucleus emboliformis
Pontocerebellum Neocerebellum laterale Hemisphären Nucleus dentatus Lobus posterior

Funktion

Gut untersucht und allgemein anerkannt ist die Rolle des Kleinhirns für Planung, Koordination und Feinabstimmung von Bewegungen, wobei die unterschiedlichen Abschnitte auch verschiedene Funktionen übernehmen. Auch bei Lernvorgängen wird dem Kleinhirn eine wichtige Rolle zugeschrieben. Zudem werden seit einiger Zeit Thesen über die Rolle des Kleinhirns bei kognitiven Prozessen diskutiert.

Siehe auch

Weblinks

Commons: Kleinhirn (Cerebellum) - Weitere Bilder oder Audiodateien zum Thema

Einzelnachweise

  1.  Suzana Herculano-Houzel: The Human Brain in Numbers: A Linearly Scaled-up Primate Brain. In: Front Hum Neurosci. Band 3, Nr. 31, 2009, S. 1-11, doi:10.3389/neuro.09.031.2009, PMC 2776484 (freier Volltext).
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