Gott

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Michelangelo: Gott erschafft Adam, Deckenfresko, Sixtinische Kapelle (1508-1512)
Cristoforo Roncalli: Der Erzengel Gabriel in Gegenwart des Ewigen Vaters (17. Jahrhundert, Sant’Andrea della Valle, Rom)
Der Alte der Tage, Fresco in Ubisa (Georgien), 14. Jahrhundert
Francisco de Goya: Der Name Gottes (JHWH), Detail aus dem Deckenfresko der Basílica del Pilar (1772)
Der ägyptische Sonnengott Re mit Falkenkopf und Was-Zepter, auf dem Kopf die Sonnenscheibe mit der Uräusschlange

Das Wort Gott (mhd., ahd. got, got. guth, engl. god, schwed. Gud, abgleitet von germ. *guda- „Gott“ = „Anrufung“), entstand im germanischen Sprachraum als allgemeine Bezeichnung für erhabene geistige Wesen.

Gottesvorstellungen

Von Gott wohl zu unterscheiden sind die Gottesvorstellungen, die sich die Menschen von ihm machen. Sie sind stets nur mehr oder weniger passende Annährungen an das Wesen Gottes.

Scharfe Kritik am Theismus wird z. B. von dem Künstler und Anthroposophen Karl Ballmer geübt. Obwohl Rudolf Steiner niemals polemisch gegen den Theismus aufgetreten sei, werde „eine nicht zu ferne Zukunft begreifen lernen, dass mit dem Auftreten der Anthroposophie die Liquidierung des Theismus in die Endphase eingetreten ist.“ (K. Ballmer, 1996)

Balmer wollte damit keineswegs zum Ausdruck bringen, dass die Anthroposophie eine atheistische Weltanschauung anstrebe. Das wäre absurd. Es wollte damit nur deutlich machen, dass der Theismus, als eine von vielen möglichen Gottesvorstellungen, für die heutige Zeit nicht mehr passend sei und überwunden werden müsse.

Auf die Frage, was man machen soll, wenn man Gott verloren hat, antworte Rudolf Steiner wie folgt:

„Man kann eigentlich nicht Gott verlieren, sondern bloß seine Gottesvorstellung. Man soll danach streben, seine Gottesvorstellung zu vertiefen, man könnte auch sagen: zu erhöhen. Jede Gottesvorstellung nähert sich nur dem Gott, keine kann ihn umfassen. Die Menschen reden zum Beispiel von Pantheismus und Theismus, als ob das eine das andere ausschließe; in Wirklichkeit ist man aber beides, denn bei Tag ist der Mensch Pantheist, bei Nacht mehr Theist. Pantheismus heißt die Gottheit tätig in der Welt erleben. [Im] Theismus erlebt man wie im hellseherischen Weltenschlafe, wie die Gottheit über der Welt wacht. Man kann sich nicht auf Beweise stützen, sondern «wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen». Man soll nur nicht stehen bleiben wollen, [soll] über jeden Standpunkt hinauskommen wollen. Die Wahrheit ist zwar eine, aber sie ist vielfältig in ihren Offenbarungen. Vor allem ist nötig innere Ruhe, Sicherheit, Lebenskraft, die man sich durch die Geisteswissenschaft erwirbt. Die Antwort lautet also im Grunde: Vertiefung in die Geisteswissenschaft, nicht eine abstrakte Antwort.“ (Lit.:GA 69d, S. 350f)

Götter und Gottheiten

Als Götter oder Gottheiten werden in der Regel Wesenheiten der ersten und zweiten Hierarchie bezeichnet. Ursprünglich hatte das Wort Gott sächliches Geschlecht, da es männliche und weibliche Gottheiten gleichermaßen umfasste. Heute wird der Singular Gott vor allem als Bezeichnung für das Vaterprinzip der göttlichen Trinität verwendet.

„In jener Zeit war es nicht so wie in unserer Zeit, wo so leicht einem eingewendet wird, wenn man von geistigen Dingen spricht: Du sprichst viel von Volksgeist oder Zeitgeist oder sonst von geistigen Tatsachen, aber du redest so wenig von Gott. - Die Leute merken nicht, warum man nicht von Gott redet: weil kein menschlicher Begriff wirklich umfassen kann dasjenige, in dem wir leben, weben und sind. Auch hierin existieren Anschauungen, die zum Teil sehr interessant sind. Als ich in einer Stadt jüngst einen öffentlichen Vortrag hielt und, wie das so üblich geworden ist, Fragen zum Beantworten aufgegeben wurden, stellte ein Mensch eine sehr kluge Frage. Er fragte nämlich: Ja, wenn man doch logischerweise einen Gegenstand dadurch erkennt, daß man ihn als Objekt anschaut, dadurch, daß man ihm gegenübertreten kann - wenn wir ein objektives Bild von einem Gegenstand, den wir in uns haben, wie den Augapfel, nicht haben können aus dem Grunde, weil wir ihn nicht anschauen können -, wie verhält es sich dann mit der Behauptung mancher Mystiker, daß man von Gott abrücken müsse, um ihn als Objekt betrachten zu können?

Gewiß haben manche Mystiker die Behauptung aufgestellt, man müsse von Gott abrücken, um sich ihm gegenüberzustellen. Die Frage war klug, aber sie muß nur so beantwortet werden, daß man sagt: Du magst von Gott abrücken soviel du willst, aber du bleibst doch in dem Gott drinnen, du kannst nicht aus dem Gott heraus. - Manche Logik ist recht logisch, aber sie ist auch sehr kurzlogisch.

In den Zeiten, wo die Menschen dem Geistigen noch näher standen, da hatte man noch ein Gefühl der Ehrerbietung für das Göttliche, in dem wir leben und weben und sind, das nicht immer mit Namen benannt werden soll, und deshalb bediente sich das althebräische Altertum, um den Namen nicht auszusprechen, des Ausdrucks: «Das Angesicht Jahves.» Angesicht ist beim Menschen dasjenige, was er nach außen wendet, wodurch er sich offenbart. Es ist nicht das Ganze des Menschen. Man erkennt ihn nach seiner Innerlichkeit an den Zügen des Antlitzes, aber man vermißt sich doch deshalb nicht, von dem ganzen Menschen zu sprechen, wenn man sein Angesicht meint.

Deshalb nannte man damals Michael «das Angesicht Jahves», nannte viel lieber den Stellvertreter, durch den sich, wie in einem der Menschheit zugewendeten Antlitz, Jahve oder Jehova der Menschheit kundgab. Man nannte auch in vertrauten Kreisen viel lieber den Stellvertreter, als daß man von Jahve selbst sprach.“ (Lit.:GA 152, S. 67f)

Gott ist Geist

Im Johannesevangelium sagt der Christus zur Samariterin am Jakobsbrunnen:

Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.

Gott ist Geist und als solcher die reine, vollkommene Wirklichkeit. Er verleiht daher allen materiellen und immateriellen Dingen und Wesen ihr Sein, denn er ist das ens a se, das Sein-aus-sich-selbst. Er ist „reiner Akt“ (actus purus) im Sinn der Akt und Potenz-Lehre des Aristoteles[1]. Sein unendliches Potential entfaltet sich nicht schrittweise nach und nach, sondern ist immer schon restlos verwirklich. Er ist die vollkommene Ewigkeit ohne Anfang und ohne Ende. Nur für ihn gilt im vollsten Sinn: „Ich bin, der ich bin“ (2. Mos 3,14 LUT). Seine Eigenschaften und seine Handlungen sind identisch mit seinem Wesen, und zu seinem Wesen (Wie-Sein) gehört unablösbar seine Existenz (Da-Sein). Geschaffene Wesen haben hingegen stets auch nicht realisierte Möglichkeiten, sowohl bezüglich ihrer Unvollkommenheiten wie ihrer Vollkommenheiten.

Gotteserkenntnis

Nach Thomas von Aquin (* um 1225; † 1274) kann der Mensch zwar durch seine Vernunft erkennen, dass Gott ist, nicht aber was Gott ist. Letztere Erkenntnis ist auch den Engelwesen, obwohl sie höher stehen als der Mensch, nicht zugänglich, sondern bleibt Gott allein vorbehalten.

„Es gibt aber in dem, was wir von Gott bekennen, zwei Weisen von Wahrheit. Einiges nämlich über Gott ist wahr, was über jede Fähigkeit der menschlichen Vernunft hinausgeht, z. B. daß Gott dreifaltig und einer zugleich ist; anderes ist wahr, wozu auch die natürliche Vernunft gelangen kann, z. B. daß Gott ist, daß Gott einer ist und anderes dieser Art, was ja auch die Philosophen, geleitet vom Licht der natürlichen Vernunft, von Gott durch Beweise dargelegt haben.“

Thomas von Aquin: Summa contra gentiles I,3

Nach Johannes Scottus Eriugena (9. Jh.) weiß auch Gott selbst nicht was er ist, da er selbst grenzenlos und jenseits jeder Bestimmbarkeit ist und alles in ihm in ungeschiedener Ganzheit in Eins zusammenfällt. Dieses „Nichtwissen“ ist aber zugleich die höchste und wahre Weisheit, das unbegreifliche und unendliche Wissen Gottes selbst:

„Wenn wir sagen, Gott wisse nicht, was er sei, wollen wir damit wohl etwas Anderes andeuten, als dass er sich. in keinem von Allem, was ist, begreife? Denn wie könnte er in ihm selber Etwas erkennen, was in ihm selber nicht sein kann? Sind doch die Gründe Alles dessen, was Gott in sich selber, d. h. der Vater im Sohne, geschaffen hat, ungetheilt in ihm Eins; sie gestatten keine Bestimmung der eigenthtimlichen Bestandheiten durch eigenthümliche Unterschiede oder zufällige Bestimmungen, indem sie dergleichen nur in ihren Wirkungen, nicht aber in ihnen selber zulassen. Was ist dann aber von der unaussprechlichen und unbegreiflichen Natur selber zu halten? Wer möchte darin etwas durch eine Grenze Bestimmtes, im Raume Ausgedehntes, in Theile Getrenntes, aus Bestandheiten und zufälligen Bestimmungen Zusammengesetztes denken? Das göttliche Nichtwissen ist also die höchste und wahre Weisheit.“

Johannes Scottus Eriugena: Über die Einteilung der Natur[2]

Der Gott der Philosophen

„Man kann sich in verschiedenen Philosophien umsehen und kann bei den Philosophen suchen nach der Art, wie sie zu dem Gottesbegriffe kommen. Es müssen dann selbstverständlich solche Philosophen sein, die geistige Tiefe genug haben, um sich eben von der Welt überzeugen zu lassen, daß man von einem Göttlichen, das die Welt durchdringt, sprechen kann. Im 19. Jahrhundert braucht nur Lotze genommen zu werden, der in seiner Religionsphilosophie etwas zu schaffen suchte, was im Einklang steht mit seiner übrigen Philosophie. Aber es könnten auch andere Philosophen genommen werden, die eben wirklich tief genug waren, um sozusagen auch eine Religionsphilosophie zu haben. Eine Eigentümlichkeit wird man bei allen diesen Philosophen finden, eine ganz bestimmte Eigentümlichkeit. Ja, zu dem Göttlichen dringen diese Philosophen mit ihren Erwägungen aus dem physischen Plane denkend vor; sie denken nach, forschen auf philosophische Art, kommen darauf, wie es gerade bei Lotze der Fall ist, daß die Erscheinungen und Wesen der Welt zusammengehalten werden von einem göttlichen Grund, der alles durchwebt und alles in eine gewisse Harmonie bringt. Wenn man aber näher auf solche Religionsphilosophien eingeht, so haben sie immer eine Eigentümlichkeit. Man kommt eben zu einem göttlichen Wesen, das alles durchtränkt und durchzieht, und wenn man dieses göttliche Wesen sich näher ansieht, diesen Gott der Philosophen, so kommt man darauf, daß es ungefähr der Gott ist, den die hebräische oder namentlich die christliche Religion den Vatergott nennt, Gottvater. Dazu kann die Philosophie kommen. Sie kann die Natur betrachten und tief genug sein, um nicht in hohlköpf iger materialistischer Weise alles Göttliche abzuleugnen, sie kann zu dem Göttlichen kommen, kommt aber dann zu dem Vatergott. Man kann ganz genau, wenn man die Philosophen verfolgt, zeigen, daß zu etwas anderem die bloße Philosophie als denkende Philosophie überhaupt nicht führen kann, als zu einem monotheistischen Vatergott. Wenn bei einzelnen Philosophen, bei Hegel zum Beispiel und anderen, der Christus auftritt, so ist er nicht aus der Philosophie heraus - das läßt sich nachweisen -, er ist aus der positiven Religion herübergenommen. Die Leute haben gewußt, daß die positive Religion den Christus hat, dann konnten sie ihn besprechen. Der Unterschied ist der, daß man den Vatergott in der Philosophie finden kann; Christus kann man mit keiner Philosophie durch denkende Betrachtung finden. Das ist ganz unmöglich.“ (Lit.:GA 153, S. 138f)

Der unbekannte Gott

Proömion[3]

Im Namen dessen, der Sich selbst erschuf!
Von Ewigkeit in schaffendem Beruf;
In Seinem Namen, der den Glauben schafft,
Vertrauen, Liebe, Tätigkeit und Kraft;
In Jenes Namen, der, so oft genannt,
Dem Wesen nach blieb immer unbekannt:

So weit das Ohr, so weit das Auge reicht,
Du findest nur Bekanntes, das Ihm gleicht,
Und deines Geistes höchster Feuerflug
Hat schon am Gleichnis, hat am Bild genug;
Es zieht dich an, es reißt dich heiter fort,
Und wo du wandelst, schmückt sich Weg und Ort;
Du zählst nicht mehr, berechnest keine Zeit,
Und jeder Schritt ist Unermeßlichkeit.

Was wär ein Gott, der nur von außen stieße,
Im Kreis das All am Finger laufen ließe!
Ihm ziemt's, die Welt im Innern zu bewegen,
Natur in Sich, Sich in Natur zu hegen,
So daß, was in Ihm lebt und webt und ist,
Nie Seine Kraft, nie Seinen Geist vermißt.

Im Innern ist ein Universum auch;
Daher der Völker löblicher Gebrauch,
Daß jeglicher das Beste, was er kennt,
Er Gott, ja seinen Gott benennt,
Ihm Himmel und Erden übergibt,
Ihn fürchtet und wo möglich liebt.

In gnostischen Schriften wird oft von dem «unbekannten Gott» gesprochen. Der unbekannte, unermessliche, unergründliche und unbegrenzte Gott oder Vater überragt alle Sphären und ist für die Gnostiker der geheime Mittelpunkt der Welt und die Quelle alles Seins, vergleichbar dem Ain Soph (hebr. אין סוף nicht endlich) der Kabbalisten. Im Apokryphon des Johannes wird Johannes von dem Christus ausführlich über das Wesen des «unbekannten Vaters» belehrt:

„Die Einheit ist eine Einherrschaft, über der nichts ist. Er ist der, der existiert als Gott und Vater des Alls, der Unsichtbare, der über dem All ist, der existiert als Unvergänglichkeit und als reines Licht, in das kein Auge blicken kann. Er ist der unsichtbare Geist, in bezug auf den es nicht passend ist, sich ihn als Gott oder etwas ähnliches vorzustellen. Denn er ist mehr als Gott, da es keinen über ihm gibt, denn niemand ist Herr über ihn. Denn er existiert nicht in irgendeiner Untergeordnetheit, denn alles existiert in ihm.

Denn er ist der, der sich selbst befestigt. Er ist ewig, denn er braucht nichts. Denn er ist die ganze Vollendung. Er brauchte nichts, daß er vollkommen werde durch es; vielmehr ist er immer gänzlich vollkommen im Licht. Er ist unbegrenzbar, da es keinen, der vor ihm ist, gibt, der ihn begrenzt. Er ist unergründbar, da es dort keinen, der vor ihm ist, gibt, um ihn zu ergründen. Er ist unmeßbar, da es keinen, der vor ihm ist, gab, um ihn zu messen. Er ist unsichtbar, da keiner ihn gesehen hat. Er ist ewig, da er ewiglich existiert. Er ist unaussprechbar, da keiner in der Lage war, ihn zu begreifen, um dann über ihn zu reden. Er ist unbenennbar, da dort keiner ist, der vor ihm ist, um ihn zu benennen. Er ist das unmeßbare Licht, das rein, heilig und gereinigt ist. Er ist unaussprechbar, indem er vollkommen ist in der Unvergänglichkeit. Er ist nicht in Vollkommenheit noch in Seligkeit noch in Göttlichkeit, sondern er ist weitaus vorzüglicher. Er ist weder körperlich noch ist er unkörperlich. Er ist weder groß noch ist er klein. Es gibt keine Art und Weise zu sagen: Wie groß ist er? Oder: Was ist seine Art? denn keiner ist in der Lage, ihn zu erkennen. Er gehört nicht zu den Existierenden, sondern er ist weitaus vorzüglicher, nicht als ob er an sich vorzüglicher wäre, sondern dieses, was das Seine ist, ist vorzüglicher. Er hat keinen Anteil, weder an den Äonen noch an Zeit. Denn wer nämlich Anteil hat an einem Äon, diesen haben andere bereitet. Man hat ihn nicht in eine Zeit eingeschlossen, denn er empfängt nicht von jemand anderem, denn es würde empfangen werden als Anleihe.

Denn der, der über allen steht, hat keinen Mangel, damit er empfange von ihm. Denn er ist der, der erwartungsvoll auf sich selbst blickt in seinem Licht.

Denn er ist groß. Zu ihm gehört eine unermeßliche Reinheit. Er ist Ewigkeit, die Ewigkeit gibt. Er ist Leben, das Leben gibt.

Er ist ein Seliger, der Seligkeit gibt. Er ist Erkenntnis, die Wissen gibt. Er ist Güte, die Güte gibt. Er ist Erbarmen, das Erbarmen und Rettung gibt. Er ist Gnade, die Gnade gibt.

Nicht weil er es besitzt, sondern weil er das unmeßbare unbegreifbare Licht gibt.

Wie soll ich sprechen mit dir über ihn? Denn sein Äon ist unvergänglich, er schweigt und existiert im Schweigen, indem er ruht und vor allen Dingen ist. Denn er ist das Haupt aller Äonen, und er ist der, der ihnen Stärke gibt in seiner Güte. Denn wir wissen nicht die unaussprechbaren Dinge, und wir wissen nicht, was unmeßbar ist außer ihm, der aus ihm offenbar geworden ist, nämlich aus dem Vater. Er nämlich ist es, der es uns allein gesagt hat. Denn er ist der, der sich anblickt in seinem Licht, welches ihn umgibt, das ist die Quelle des lebendigen Wassers. Und er ist es, der allen Äonen gibt. Und in jeder Gestalt nimmt er sein Bild wahr, indem er es in der Quelle des Geistes sieht.“

Apokryphon des Johannes: Der unbekannte Vater [2]

Missdeutung Gottes als Engel oder als das eigene höhere Selbst

Was gemeinhin als Gott angesprochen wird, ist allerdings oft nur der eigne führende Engel oder das höhere Selbst des Menschen.

„Denn das, wovon man in Wirklichkeit redet, wenn man heute vielfach von seinem Gott spricht, das ist der einzelne Engel oder gar das eigene Selbst in der Zeit zwischen dem letzten Tode und der jetzigen Geburt.“ (Lit.:GA 181, S. 353)

„Wenn man für die Vorstellung all die Begriffe durchgeht, welche sich solche Menschen von ihrem Gotte machen - was ist denn in solchen Begriffen ausgeführt? Nichts anderes als das Wesen eines Engels, eines Angelos, und all diejenigen Menschen, welche davon sprechen, daß sie unmittelbar von ihrer Seele zu Gott aufschauen, schauen nur zu einem Engel auf. Und suchen Sie sich alle Beschreibungen - wenn sie noch so erhaben klingen - solcher Menschen auf, so werden Sie finden: sie beschreiben nichts anderes als einen Engel, und dasjenige, was diese Menschen sagen, ist nichts anderes als die Forderung, man solle sich unter Gott nichts Höheres vorstellen als einen Engel. Das zum Beispiel, was man heute den modernen protestantischen Gott nennt und über den gerade von protestantischer Seite so viel geredet wird, ist ein Angelos, ist nichts anderes. Denn nicht darauf kommt es an, ob man sich einbildet, man finde den Weg zu dem höchsten Gotte, sondern darauf kommt es an, wozu man wirklich den Weg findet. Und man findet auf diese Weise nur den Weg zu seinem Angelos. Ich sage: zu seinem Angelos, denn das ist wichtig.“ (Lit.:GA 172, S. 178f)

„Die Angeloi sind dazu berufen, die einzelne menschliche Individualität hindurchzuführen durch die wiederholten Erdenleben. Dann kommen wir herunter bis zum Menschen selber. Der Mensch, so wie er heute auf der Erde ist, erinnert sich nur an sein Erdenleben hier im physischen Leib. Das Gedächtnis der Engel geht viel weiter, denn nur dadurch, daß es viel weiter geht, können sie die wiederholten Erdenleben der Menschen lenken und leiten. Nicht einmal richtig aber stellt sich der moderne Theologe den Engel vor, weil der moderne Theologe schon diese Eigenschaft wegläßt von dem Engel, daß er die menschliche Individualität durch die wiederholten Erdenleben durchleitet. Wenn wir ins Auge fassen, daß wir, indem wir den Erzengeln gegenüberstehen, es erst bei den Erzengeln zu tun haben mit Wesenheiten, die menschliche Zusammenhänge regieren, und bei den Zeitgeistern mit Wesenheiten, die menschliche Zusammenhänge über lange Zeiträume hindurch regieren, daß wir es bei den Engeln zu tun haben mit Wesenheiten, die wesentlich das Leben des einzelnen Menschen regieren, dann werden wir nicht verkennen, wenn wir das im Auge behalten, daß es ein verborgener Egoismus ist von den Menschen, unmittelbar zu dem Gotte sich erheben zu wollen, denn sie wollen sich in Wahrheit - obwohl sie das nicht zugeben - nur zu ihrem Gotte, zu ihrem eigenen Engel erheben.

Das hat eine große praktische Bedeutung, das ist von einer großen Wichtigkeit, denn es trägt einen gewissen Keim in sich. Es trägt den Keim in sich, daß die Menschen von dem einen Gotte sprechen, aber daß es nur eine Phantasterei ist, daß sie von dem einen Gotte sprechen. Denn in Wahrheit, indem die Menschen sich dieser Phantasterei hingeben, spricht jeder von seinem eigenen Gotte, nämlich von seinem Engel. Und die Folge davon muß sein, daß im Laufe der Zeit jeder Mensch seinen eigenen Gott, nämlich seinen eigenen Engel verehrt. Und wir sehen schon, wie stark der Drang der Menschen ist, daß jeder seinen eigenen Gott verehrt. Das Zusammenfinden der Menschen in denjenigen Göttern, die allen gemeinsam sind, ist ein sehr geringes geworden in der neueren Zeit. Das Pochen eines jeden auf seinen eigenen Gott hat sich als etwas ganz besonders Hervorstechendes herausgestellt. Das Menschengeschlecht wird atomisiert. Es bleibt gewissermaßen nur das Wort «Gott» noch übrig, das für die Menschen einer Sprache gemeinsam lautet, aber unter diesem einen Worte stellt sich jeder etwas anderes vor, nämlich seinen eigenen Engel. Und er kommt nicht einmal hinauf bis zu dem Erzengel, welcher menschliche Gemeinschaften leitet.“ (S. 180f)

„Indem der Mensch eigentlich nur zu seinem Engel aufblickt, das sich aber nicht gesteht, sondern glaubt, er blicke zu dem Gotte auf - während er nicht einmal zu einem Erzengel aufblickt -, betäubt er durch diese unwahre Vorstellung in einem gewissen Sinne seine Seele. Und diese Betäubung der Seele ist ja heute allgemein vorhanden. Aber wenn man die Seele betäubt, dann ist das für unsere heutige Menschheitsentwickelung außerordentlich verhängnisvoll. Denn durch die Betäubung der Seele wird das Ich heruntergedrückt, heruntergetrübt, und dann schleichen sich die anderen Mächte, die nicht in der Seele wirken sollen, in diese Seele ein. Das heißt, es schleicht sich an die Stelle des Engels, den man zunächst verehren wollte, den man aber umtauft zu «Gott», der luziferische Angelos ein, und man kommt allmählich dazu, nicht den Engel zu verehren, sondern den luziferischen Angelos.“ (S. 181)

„Die Religionen haben Schuld, die religiösen Bekenntnisse, indem sie das Bewußtsein der Menschen trüben und an die Stelle Gottes einen Engel setzen, für den sich dann substituiert der luziferische Engel, der ihm entspricht. Und dieser luziferische Engel wird den Menschen alsbald in den Materialismus hineinführen. Das ist der geheimnisvolle Zusammenhang zwischen den hochmütigen, egoistischen Religionsbekenntnissen, welche nichts hören wollen von dem, was über einem Engel steht, sondern in maßlosem Hochmut sagen, daß sie von «Gott» sprechen, während sie nur von einem Engel sprechen, und von dem noch nicht einmal vollständig. Dieser maßlose Hochmut, der noch oftmals als Demut angesprochen wird, er ist es, welcher letzten Endes den Materialismus hat hervorbringen müssen. Wenn wir dies bedenken, dann sehen wir einen bedeutungsvollen Zusammenhang: Durch die fälschliche Umdeutung eines Engels zu Gott entsteht in der Menschenseele der Hang zum Materialismus. Und es liegt ein unbewußter Egoismus zugrunde, der sich darinnen äußert, daß der Mensch es verschmäht, aufzusteigen zu der Erkenntnis der geistigen Welt, der sich auch darinnen äußert, daß der Mensch sozusagen nur aus sich heraus den Zusammenhang mit seinem Gotte unmittelbar zu finden meint.“ (Lit.:GA 172, S. 182)

„Nun, die Menschen weisen es ab, wenn wir vom Standpunkte der Geisteswissenschaft aus davon sprechen, daß über uns andere Wesenheiten sind, die Angeloi, Archangeloi, Archai und so weiter, so daß wir eine Hierarchie von geistigen Wesenheiten schauen, und daß der Weg weit hinauf ist zu dem, was das höchste Göttliche ist. Diese erkenntnismäßige Bescheidenheit wollen die Menschen der Gegenwart nicht haben. Sie drücken es oftmals so aus, daß sie sagen: Sie wollen keine Vermittlung haben zwischen sich und dem Gotte, sie wollen immer sich direkt, unmittelbar an den allerhöchsten Gott wenden. Es handelt sich aber nicht darum, was man glaubt über ein solches Hinwenden, sondern darum handelt es sich, was man in seiner Seele wirklich tut, was man in seiner Seele wirklich erlebt.

Nehmen Sie alles das, was Ihnen heute ein Prediger irgendeiner anerkannten Religionsgemeinschaft über das Göttliche vorbringt, was er redet über das Göttliche. Worauf bezieht sich das, wenn man nun nicht nach seinen Worten geht, sondern nach der Wirklichkeit? Es bezieht sich auf zweierlei. Entweder bezieht sich das, wovon er redet, auf kein höheres Wesen als auf seinen Engel, der als leitende Wesenheit über jedem einzelnen von uns steht. Er betet diesen Engel an, er nennt ihn den höchsten Gott. Derjenige, der weiß, was Worte wirklich für einen Inhalt haben können, der weiß, daß alles, was in den modernen Predigten gesagt wird von Gott, niemals auf irgendeinen höheren Gott als auf einen Engel sich bezieht oder, wenn nicht auf einen Engel, so noch auf etwas anderes. Geht man nämlich der Frage nach, woher denn das eigentlich stammt, was solche Menschen fühlen, die von ihrem Gotte sprechen, die von ihrem Gotte predigen in ihren Kirchen, die oftmals sogar vorgeben, ein Gotteserlebnis in ihren Seelen zu haben, wie es manche Menschen der Gegenwart tun - sie nennen sich dann mit einem gewissen Hochmut «evangelisierte Menschen» und dergleichen -, von welchen Impulsen in ihren Seelen solche Menschen ausgehen, der kommt zu folgendem: Solche Menschen fühlen in ihren Seelen den Impuls ihres eigenen Wesens, wie sich dieses Wesen entwickelt hat in einer rein geistigen Umgebung zwischen dem letzten Tode und der Geburt. Dieses geistige Wesen, das sich zwischen dem letzten Tode und unserer Geburt in uns entwickelt hat, das ist jetzt in unserem Leibe, das hat unseren Leib bezogen. Vieles von dem, in dem wir jetzt leben, kommt nur aus diesem Wesen, aus diesem vorgeburtlichen Wesen. Dieses vorgeburtliche Wesen fühlt der Mensch als ein Geistiges; dieses vorgeburtliche Wesen ist es, mit dem er sich vereinigt fühlt. Ja sogar sogenannte Theosophen der verschiedensten Richtungen haben den Menschen immer wieder und wiederum vorgesagt, um ihnen so etwas geistig Honigsüßes zu geben, es käme darauf an, daß sich der Mensch mit seinem Gotte in sich vereinigt. Aber das, was da der Mensch fühlt, indem er sich angeblich mit seinem Gotte vereinigt, das ist er selbst, das ist nur sein geistig-seelisches Wesen in der Zeit zwischen dem letzten Tode und der letzten Geburt. Und das, wovon zahlreiche Pastoren und Priester sprechen, wenn sie von dem Gott, den sie in ihrer Seele fühlen, sprechen, ist nichts anderes, als daß sie ihr eigenes Ich ahnen, nicht wie es sich hier im physischen Leibe, in der physischen Umgebung entwickelt, sondern wie es sich in der geistigen Welt entwickelt hat zwischen Tod und Geburt. Das empfinden sie, und dann fangen sie an zu beten. Und was beten sie an? Sich selber.“ (Lit.:GA 182, S. 86f)

Siehe auch

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Vgl. Aristoteles: Metaphysik., XI 7, 1072b ff. nach Regenbogen, Arnim, Uwe Meyer: Wörterbuch der philosophischen Begriffe. Meiner, Hamburg 2005: actus purus.
  2. Johannes Scotus Erigena, Ludwig Noack (Übers.): Über die Eintheilung der Natur, Verlag von L. Heimann, Berlin 1870, Erste Abtheilung, S. 209 [1]
  3. Als Proömium (Plural Proömien; griech. προοίμιον prooímion, deutsch: ‚vor dem Lied‘, ‚Vorspiel‘, ‚einleitender Gesang‘; im Lateinischen entlehnt als pro(o)emium) oder Proöm wird seit der Antike ein Vorwort, ein Prolog oder einführendes Kapitel von Dichtungen und Briefen bezeichnet.
  4. Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 1, Berlin 1960 ff, S. 535-536 zeno.org