Dialogische Führung

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Dialogische Führung ist ein seit Mitte der 1990er Jahre im Friedrich von Hardenberg Institut für Kulturwissenschaften in Heidelberg entwickelter Führungsansatz. Anlass dazu gaben Anfragen aus der Wirtschaft (Dm-drogerie markt) sowie aus dem Schulbereich (selbstverwaltete Schulen/ Waldorfschulen). Dialogische Führung wird heute in verschiedenen Wirtschaftsunternehmen und gemeinnützigen Organisationen praktiziert.

„Dialogische Führung arbeitet an der Frage, wie möglichst viele Mitarbeiter eines Unternehmens oder einer Organisation in eine individuelle unternehmerische Disposition gelangen und wie sie aus einer solchen heraus fruchtbar zusammenarbeiten können.“ (Lit.: Karl-Martin Dietz: Jeder Mensch ein Unternehmer. Karlsruhe 2008, S. 6)

Der Ausdruck „Dialogische Führung“ wurde 2002 erstmals am Hardenberg Institut geprägt (Karl-Martin Dietz, Thomas Kracht: Dialogische Führung. Frankfurt, New York, 3. Auflage 2011).

Neben den Autoren des Buches „Dialogische Führung“ sind heute weitere Wissenschaftler aus dem Kreis des Hardenberg Instituts an der Arbeit zur Dialogischen Führung beteiligt (Stefan Brotbeck, Peter Dellbrügger, Jürgen Paul und Rudy Vandercruysse).

Dialogbegriff

Im Hintergrund der Dialogischen Führung steht ein Dialogverständnis, das durch den Logos-Begriff des griechischen Philosophen Heraklit von Ephesus angeregt ist. Logos meint hier mehr als einfach nur ein sinnvolles Gespräch. "Dialog" bezeichnet Prozesse, durch die der Logos hindurchgeht (dia = durch). Im Sinne der Dialogischen Führung werden diese Prozesse verstanden als Aktualisierungen der Erkenntnis- und Freiheitsfähigkeit des Menschen. So aufgefasst ist Dialog einerseits eine bestimmte Art des miteinander Sprechens, aber es ist auch mehr: Eine Art des Umgangs miteinander, die die Selbstbestimmung des Einzelnen fördert.

Hier wird Dialog verstanden als eine Art des Umgangs, bei dem sich die Beteiligten gegenseitig helfen, eigene Einsichten und Initiativen zu entwickeln. Insofern unterscheidet sich der Ansatz der Dialogischen Führung von solchen Dialogansätzen, die Dialog ausschließlich oder überwiegend als ein Kommunikationsinstrument verstehen. Gelegentlich wird der Ansatz der Dialogischen Führung in Medienberichten oder in der Literatur mit antiautoritärer Führung verwechselt oder fälschlich auf einen bestimmten Führungsstil (z.B. kooperative Führung) reduziert.

Entscheidende Anregungen für die „Dialogische Führung“ sind immer wieder in der Auseinandersetzung mit der Idee des ethischen Individualismus entstanden (Rudolf Steiner, "Die „Philosophie der Freiheit“). Vgl. Reinhard Sprenger: Führen für Erwachsene. In: brand eins 10/2002, S. 154f. Es geht letztlich darum, wie die freie, sich selbst im Ganzen orientierende Persönlichkeit wirksam werden kann. "Führung" wird immer mehr zur "Selbstführung“.

Kernfragen und Prozesse der Dialogischen Führung

Vor dem Hintergrund von Individualisierung und damit verbundenen neuen Herausforderungen an die Führung lauten die Kernfragen der „Dialogischen Führung“ und die damit verbundenen Prozesse:

Die Menschen

Wie kann der einzelne Mensch wirklich ernstgenommen werden? Wie wird der Einzelne von den anderen in seiner Entwicklung gefördert?

Die gegebene Situation

Wie kommt jeder Einzelne zu seinem Blick auf das Ganze? Wie entsteht aus der Eigenständigkeit der Einzelnen das gemeinsame Ganze?

Zukunft

Wie werden möglichst viele Mitarbeiter kreativ? Wie fließt die Originalität der Einzelnen in die Zukunft der Zusammenarbeit ein?

Handeln

Wie werden möglichst viele Mitarbeiter initiativ? Wie kommt aus der Verantwortlichkeit der Einzelnen gemeinsames Handeln zustande?

Für Führung und Selbstführung bedeutet dies:

  • Dem einzelnen Menschen die Entwicklung im Gesamtgeschehen ermöglichen;
  • Den gegebenen Verhältnissen in ihrer Komplexität gewachsen sein;
  • Produktive Fähigkeiten anregen und realisieren;
  • Die eigenständigen Tätigkeiten der Einzelnen zu einem Ganzen verbinden.

In einer Dialogischen Führung gilt es deshalb, die entsprechenden Prozesse im einzelnen Menschen ebenso wie im Sozialen anzuregen und auszugestalten:

  • Individuelle Begegnung im Hinblick auf die Menschen.
  • Interesse am individuellen Menschen statt Rollenverhalten oder Instrumentalisierung des Anderen.
  • Transparenz im Hinblick auf die gegebene Situation.
 Eigenständigkeit des Einzelnen statt Machtwissen oder Meinungsdiktatur.
  • Beratung und Ideenbildung im Hinblick auf die Zukunft.
 Kreativität statt Tradition oder struktureller Vorgaben.
  • Entschlusskraft im Hinblick auf das tatsächliche Handeln.
 Handeln aus Initiative statt Selbstverwirklichungsmentalität oder Beauftragung.

Weblinks

Literatur

  • Dellbrügger, Peter (2007): Gestaltungselemente für eine unternehmerische Führungskultur. Das Beispiel der „Dialogischen Führung“ bei dem Unternehmen dm-drogerie markt GmbH & Co KG Karlsruhe. In: Raich, Margit/Pechlaner, Harald/Hinterhuber, Hans H. (Hrsg.): Entrepreneurial Leadership. Wiesbaden, Deutscher Universitäts-Verlag, S. 65–79.
  • Dietz, Karl-Martin (2006): Dialogische Schulführung an Waldorfschulen. Spiritueller Individualismus als Sozialprinzip. Heidelberg 2006.
  • Dietz, Karl-Martin (2008): Jeder Mensch ein Unternehmer: Grundzüge einer dialogischen Kultur; Karlsruhe 2008.
  • Dietz, Karl-Martin (2009): Eigenständig im Sinne des Ganzen. Intentionen der Dialogischen Führung, in: Markus Hänsel/Hanna Matzenauer (Hrsg), Ich arbeite, also bin ich? Sinnsuche und Sinnkrise im beruflichen Alltag. Göttingen 2009.
  • Dietz, Karl-Martin (2010): Dialog. Die Kunst der Zusammenarbeit. 3. Erweiterte Auflage 2010.
  • Dietz, Karl-Martin und Kracht, Thomas (2011), Dialogische Führung. Grundlagen - Praxis. Fallbeispiel: dm-drogerie markt, 3. Auflage Frankfurt 2011
  • Vandercruysse, Rudy (2011): Ich und mehr als ich. Grundübungen einer Kultur der Selbstführung. Heidelberg 2011.

Belege

  • Zwischen Novalis und Drogeriemarkt, Rhein Neckar Zeitung (RNZ), Nr. 108, 9. Mai 2008, S. 9
  • Reinhard Sprenger: Führen für Erwachsene. In: brand eins, 10/2002
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