Depression

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Albrecht Dürer: Melancholia

Unter einer Depression (von lat. deprimere ‚niederdrücken‘) bzw. einem depressiven Zustand versteht man eine Seelenstimmung, welche mit einer großen Niedergeschlagenheit einhergeht. Das Vertrauen in die eigene Entwicklungsfähigkeit, in einen Weg in die Zukunft hinein, geht verloren und ein Gefühl des Auf-der-Stelle-Tretens setzt ein. Es kommt zu sinnlosen Grübelgedanken, die der Betroffene kaum noch kontrollieren kann. Der Depressive wird gewissermaßen gedacht, statt aus eigener Initiative zu denken.[1] Das Denken wird von nicht bewusst gemachten Gefühlen ergriffen und kann so eine niederdrückende Wirkung entfalten.

„Gefühle, die von Vorstellungen nicht erfaßt werden, sind depressiv; nur die Gefühle sind nicht depressive Gefühle, die sogleich vom Vorstellungsleben erfaßt werden, wenn sie entstehen.“ (Lit.: GA 317, S. 67)

„Die Empfindung des nicht richtig mit dem Astralleib verbundenen Ätherleibes erzeugt Depressionen; […].“ (Lit.: GA 027, S. 102)

Rudolf Steiner sieht, wie in der Depression etwas für die nächste Inkarnation vorbereitet wird:

„Der Psychoanalytiker findet irgendeinen Menschen, der unter dieser oder jener Depression leidet. Diese Depression braucht ihren Ursprung nicht im gegenwärtigen bewußten Seelenleben zu haben, sondern in der Vergangenheit. In diesem Leben trat einmal irgend etwas im seelischen Erleben auf. Der Mensch ist darüber hinausgekommen, aber nicht vollständig; im Unterbewußten ist ein Rest geblieben. […] In dem, was der Psychoanalytiker in den enttäuschten Lebenshoffnungen in den Untergründen der Seele sucht, liegt, wenn er nur tief genug darauf eingeht, dasjenige, was sich vorbereitet in einem gegenwärtigen Leben, um schicksalsmäßig in ein nächstes Leben einzugreifen.“ (Lit.: GA 066, S. 180ff)

Depression und das Verhältnis der Seelenkräfte

Nach Aussage von Heinz Grill dominieren bei der Depression Kräfte aus den Gefühls- und Willensimpulsen die dritte Seelenkraft des Denkens. Das Denken kommt so nicht zur plastizierenden und formenden Tätigkeit:

„Zusammenfassend kann man deshalb sagen, dass sich die Depression gerade darin äußert, dass Kräfte aus den Gefühls- und Willensimpulsen nach Gewohnheiten vorliegen, die die dritte Seelenkraft, die des Denkens, nicht zu ihrer plastizierenden, konzentrierenden und formenden Tätigkeit gelangen lassen. Es fehlt die Fähigkeit zur bildenden und ausdauernden Bewahrung eines Gedankens. Indem der hereinwirkende Gedanke von oben mit seiner bildenden Formerkraftung fehlt, kann der Leib sich nicht zu einer ausreichenden Strukturierung weiterentwickeln.

Gesundheitsspendende und koordinierende Ätherkräfte, die eine harmonievolle Innerlichkeit schenken würden, geraten in einen Verzug gegenüber den Kräften, die im wahrsten Sinne in die Schwere sinken. Das Bewusstsein, das im Gedanken aufrecht bleiben müsste, versinkt in den Leib. Die leibabhängigen Willens- und Gefühlskräfte rauben die Wachheit und somit fehlt dem Menschen die Möglichkeit eines gesunden Selbstwerdens. Die erbauenden und strukturierenden Formbildekräfte, die aus dem Denkprozess kommen würden, können ihn nicht bis in das Innere des Leibes durchdringen.“[2]

Organischer Aspekt und Idee für den therapeutischen Ansatz

Zusammenhang zwischen seelischer Befindlichkeit und Organwirkung

Rudolf Steiner schreibt dazu:

„Viele Menschen sprechen heute von ihrem Inneren. Sie reden von den Bedürfnissen dieses Inneren. Sie reden davon, daß ihre Seele mit dem und jenem nicht fertig werde. In Wahrheit wird ihr Magen und werden ihre Gedärme nicht fertig. Und dieses, was sie vom seelischen Leben reden, ist im Grunde genommen nur ein Wortausdruck für dasjenige, was im Stoffwechsel vor sich geht. Und es ist so, daß die Menschen selbstverständlich nicht der Wahrheit gemäß zugeben würden: Mein Magen, meine Gedärme, Milz und Leber oder sonstige Dinge sind in mir nicht in Ordnung –, sondern sie sagen: Meine Seele hat diese oder jene Schwierigkeit. – Das klingt besser, vornehmer für manche Menschen, das halten sie für weniger materialistisch.“ (Lit.: GA 190, S. 204)

Depression und das Leberorgan

Speziell auf die Depression bezogen kommt Heinz Grill wie Rudolf Steiner zu dem Ergebnis, dass hier das Organ der Leber eine zentrale Rolle spielt:

„Interessant wird diese Betrachtung des Leberorgans nun in Bezug auf die Erscheinungsform der Depression. Rudolf Steiner sprach zu dieser Erscheinungsform der Psyche, dass das Ich und der Astralleib auf falsche Weise auf den Ätherleib und schließlich am Ende damit auf den physischen Leib einwirken und sich aber das Leberorgan in einer bestimmten Prädestination oder Disposition an den falschen Einfluss, der von oben kommt, gewöhnt hat. Diese Gewohnheit, die das Leberorgan annimmt und die aus den falschen Wirkungen des Ich und des Astralleibes kommt, bleibt aber dennoch nicht ohne spürbare und sichtbare Resonanz. Deshalb beginnt dieses Leberorgan, so wie es Rudolf Steiner ausdrückt, nach rückwärts oder nach oben hin in die Psyche hinein die Depression auszusenden. Diese so klare und einfache Vorstellung, die Rudolf Steiner aufgrund einer metaphysischen Sichtweise äußert, kann gerade in Bezug auf das Wasserelement außerordentlich wertvolle Ergänzungen erhalten. Wie wirken beispielsweise bestimmte Gedanken auf den Ätherleib und wie kann der Ätherleib schließlich mit diesen Gedanken auf gesunde Weise bis hinein in den physischen Körper fortwirken? Die Frage, wie von oben nach unten der Denkprozess zu einer harmonischen Wirkung, zu einer inkarnierenden und verinnerlichenden Aufbautätigkeit gelangen kann, ist beim Studium des depressiven Krankheitsbildes außerordentlich bedeutungsvoll. Sind die Prozesse des bildenden Denkens gestört oder mangelhaft, kann sich die Depression entwickeln.“[3]

Die befreiende Wirkung des lichten Denkprozesses bis in den Stoffwechsel

„Wenn sich der Mensch durch sein Ich mit denkenden Fähigkeiten emporhebt und ganz besonders, wenn er mit Konzentration bildende Denkbewegungen erzeugt, die sich in einer Beziehung zu einem Ideal und in einer sinnvollen, angenehmen Rückwirkung zu einer menschengemäßen Vorstellung befinden, dann kann bei diesem sehr lichten Prozess relativ leicht empfunden werden, wie sich die Gedanken in einer harmonischen Hülle in der Sphäre über dem Haupt einen lichten Raum erobern. Das Ich muss nur kräftig genug sein, diese wirklichen Denkprozesse in der Konzentration beizubehalten. Auf den Stoffwechsel bezogen, der in der Region um die Leber gelagert ist, entsteht nun eine nahezu gegenteilige Bewegung. Der Raum um den Stoffwechsel erscheint nun, wie wenn er „leergemacht“, ausgeräumt werden würde. So wie jemand ein Zimmer mit all den inneliegenden Möbelstücken ausräumen kann, so kann gewissermaßen auch der Stoffwechsel von den dort befindlichen drückenden Schwerekräften und Belastungen befreit werden. Der Gewohnheit nach aber wehrt sich dieser Stoffwechsel gegen eine kommende Reinigung und er will mit seiner ziehenden Schwere seine altbekannten Besitztümer, das heißt seine Launen und Stimmungen beibehalten. Im Stoffwechsel entsteht deshalb ein gewisser widerstreitender Kampf. Wer die Konzentration in einem Gedanken aufrechterhalten kann und nicht in die Müdigkeit des Leibes verfällt, führt den Stoffwechsel zu einer befreienden Reinigung. Auf diese befreiende Säuberung und Reinigung folgt nun eine neu einkehrende Bewegung, die schließlich Formen in einer metaphysischen Verfügbarkeit erschafft. Diese aber zunächst in metaphysischer Verfügbarkeit bestehenden neuen Formen treten immer mehr in das gesamte organische Leibgefüge über und werden schließlich einmal die alte Leibsubstanz ganz verdrängen.“[4]

Chronische Erkrankung und Depression

Zwischen der Depression und chronischen Erkrankungen sieht Rudolf Steiner einen engen Zusammenhang.

„Wir müssen gewissermaßen mehr auf den Lebenslauf des Menschen hinschauen als auf die Symptome, wenn es zum Chronischen kommt. Nun aber kommt es zur gewöhnlichen physischen chronischen Erkrankung, wenn der ganze Vorgang so im Organ gehalten werden kann, daß astralischer Leib und Ätherleib richtig ihren Anteil nehmen an der Organwirkung und so viel als nötig ist, in die Organwirkung hineinsenden. Ist der Kranke so konstituiert, daß er ertragen kann ein unordentliches Hereinwirken des astralischen Leibes auf dem Umweg durch den Ätherleib in sein Organ, ist der Kranke also so geartet, daß er den abnormen Zusammenhang seines astralischen Leibes mit seiner Leber über einen gewissen kritischen Punkt hinwegbringt, so daß gewissermaßen die Leber nicht merkt, daß der astralische Leib nicht ordentlich in sie hineinwirkt, dann, ich möchte sagen, erholt sich die Leber, aber sie gewöhnt sich an das unordentliche Hineinwirken des astralischen Leibes. Das braucht dann nur lange genug fortzuschreiten und es macht den umgekehrten Weg in das Seelische hinein. Das, was die Leber aufnehmen sollte ins Physische, schiebt sie in das Seelische hinein, und wir haben die Depression, so daß also in einer gewissen Weise dadurch, daß der Mensch chronische Krankheiten über einen gewissen Punkt hin bis zu der abnormen Beziehung zum astralischen Leib hin übersteht, die Anlage gegeben wird zur sogenannten geistigen Erkrankung.“ (Lit.: GA 312, S. 377)

Die materialistische Weltsicht als Ursache für Depressionen

„Wie leidet heute mancher Mensch praktisch unter den naturwissenschaftlichen Vorurteilen! Da steht ein Mensch, und wenn er ein naturwissenschaftlicher Gläubiger und den Geist Ablehnender ist, so sagt er sich wohl: Da habe ich eine gewisse Art der Individualität an mir; ich schaue hinauf zu meiner Blutsverwandtschaft und muß erkennen, wie ich das Ergebnis der Vererbung seitens dieser meiner Blutsverwandtschaft bin. – Dann senkt sich Depression, Energielosigkeit und Unfähigkeit des Ankämpfens gegen ein Schicksal in manche Seele. Denn wenn es so wäre, daß der Mensch nur das Ergebnis der Vererbung wäre, dann würde es ebenso unmöglich sein, die schlimmen Wirkungen der Vererbung aufzuhalten, wie es unmöglich ist, den Blitz, der gegen einen Menschen zuckt, aufzuhalten.“ (Lit.: GA 062, S. 112)

Durch den zunehmenden materiellen Wohlstand kommt es, beim Fehlen einer zeitgemäßen Geistigkeit, zu einer Verödung der Seele. Diese wird versucht, durch zerstreuende Aktivitäten zu überdecken:

„Und wenn es so fortgehen würde, dass das äußere Leben immer angenehmer, immer gesünder würde, wie man es nach den allgemeinen Vorstellungen im rein materialistischen Leben haben kann, dann würden solche Seelen immer weniger Ansporn haben, in sich selber weiterzukommen. Eine Verödung der Seelen würde in gewissem Sinne parallel einhergehen.

Wer sich genauer das Leben ansieht, kann das heute schon bemerken. In kaum einem Zeitalter hat es so viele Menschen gegeben, welche in so angenehmen äußeren Verhältnissen leben, aber mit öden, unbeschäftigten Seelen einhergehen, wie es heute der Fall ist. Diese Menschen eilen darum von Sensation zu Sensation; dann, wenn das Pekuniäre reicht, reisen sie von Stadt zu Stadt, um etwas zu sehen, oder wenn sie in derselben Stadt bleiben müssen, eilen sie jeden Abend von Vergnügen zu Vergnügen. Die Seele bleibt aber darum doch öde, weiß zuletzt selber nicht mehr, was sie aufsuchen soll in der Welt, um einen Inhalt zu bekommen. Namentlich wird durch ein Leben in rein äußeren, physisch annehmlichen Zuständen der Hang erzeugt, nur über das Physische nach zu denken. Und wenn diese Neigung, sich nur mit dem Physischen zu beschäftigen, nicht schon lange vorhanden wäre, so würde auch nicht die Neigung zum theoretischen Materialismus so stark geworden sein, wie es in unserer Zeit der Fall ist. So werden die Seelen leidender, während das äußere Leben gesünder gemacht wird.“ (Lit.: GA 120, S. 175)

Psychopharmaka

Von einer dauerhaften Einnahme von Psychopharmaka ist abzuraten. Meist werden in der akuten Krise klinisch Antidepressiva eingesetzt. Da Antidepressiva erst nach mehreren Wochen ihre Wirkung entfalten, wird häufig einleitend noch ein Tranquilizer aus der Gruppe der Benzodiazepine eingesetzt. Wenn dies nicht hilft, kommt es auch zum Einsatz von Breitspektrumpsychopharmaka aus der Gruppe der Neuroleptika, wie z. B. Sulpirid und Quetiapin sowie (seltener) zum Einsatz von Tranquilizern wie Alprazolam.

Phytopharmaka, Homöophatika und anthroposophische Heilmittel

Zur längerfristigen Behandlung ist Johanniskraut geeignet. Dies wird z. B. als Hyperforat angeboten. Auch Kava Hevert (Piper methysticum D 4) ist in Kombination mit Baldrian bei Angst und Spannungszuständen geeignet.

Aus dem Heilmittelset der anthroposophischen Medizin ist vor allem das Hepatodoron (Weleda) angezeigt. Falls Erschöpfungszustände bestehen, ist auch Ferrum sidereum D 20 (Weleda) angezeigt.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Eckhard Roediger: Anthroposophische Aspekte zur Psychotherapie der Depression, Niederschrift eines Vortrages auf der Ärztetagung in Kassel am 20.11.2005, erschienen in: Der Merkurstab, Heft 5/2006.
  2. Heinz Grill: Das Wesensgeheimnis der Seele. 2. überarbeitete und erweiterte Auflage. Stephan Wunderlich Verlag, 2014, ISBN 978-3-9815855-5-1, S. 282 f.
  3. ebd., S. 277.
  4. ebd., S. 278.

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
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Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.
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