Anmutung

Aus AnthroWiki
Maluma und Takete
Maiglöckchen (Convallaria majalis)
Bunter Eisenhut (Aconitum variegatum)
Mazedonische Eiche (Quercus trojana)
Birke (Betula pendula)
Hain-Veilchen (Viola riviniana)

Die Anmutung ist ein feiner, aber sehr charakteristischer Gefühlseindruck, der spontan durch eine Wahrnehmung ausgelöst werden kann, wobei die durch verschiedene Sinne vermittelten Gemütsempfindungen häufig miteinender korrespondieren.

Grundlegende Versuche dazu hat schon 1929 der Psychologe Wolfgang Köhler, einer der Begründer der Gestaltpsychologie, durchgeführt, der Versuchspersonen bat, einer einfachen rundlichen und einer eckig-spitzen Form je nach Anmutung die Worte Maluma oder Takete zuzuordnen. 90% der Probanden ordneten daraufhin der runden Form Maluma und der spitzen Form Takete zu. Das zeigt deutlich, dass es sich hierbei nicht um einen bloß subjektiven Eindruck handelt, sondern dass diesem eine objektive Qualität zugrundeliegt. Die Korrespondenz beruht hier auf den den Formen entsprechenden Formbildekräften der Konsonanten in den zuzuordnenden Worten. Dass auch Vokale typische Anmutungen hervorrufen zeigte ebenfalls 1929 Edward Sapir. Hohe, vorne gesprochene Vokale wie das „I“ werden eher mit kleinen, hingegen tiefe, dunkle Vokale wie das „U“ mit großen Objekten assoziiert. Neuere Untersuchungen von Fabian Bross (2018) zeigen, dass auch die Länge der gesprochenen Vokale eine Rolle spielen. Kurze Vokale verbindet man eher mit kurzen, lange Vokale mit langen Gegenständen. Systematisch werden solche Zusammenhänge in der von Rudolf Steiner entwickelten Sprachgestaltung und Eurythmie verwendet.

Im Wirtschaftsleben versucht man bei der Produktgestaltung eine möglichst positive Anmutung durch ein entsprechendes Design zu erreichen. Bei grafischen Benutzerschnittstellen von Computerprogrammen und im Webdesign kommt einem klaren und ansprechenden „Look and Feel“ eine hohe Bedeutung zu.

Naturformen, insbesondere von Pflanzen und ihren Blüten, erregen bei aufmerksamer Betrachtung sehr leicht eine Anmutung, die mit den ätherischen und astralischen Kräften zusammenhängt, die sie gestalten. Auch ganze Landschaften haben oft eine unverwechselbare Anmutung.

„Auch Pflanzen «sprechen» nicht nur zu den Sinnen und dem Verstand. Sie berühren das menschliche Gemüt. Ein Maiglöckchen «wirkt» innig, der blaue Eisenhut streng. Wir sprechen von der kraftvollen Eiche, der lieblichen Birke und dem bescheidenen Veilchen. Das alles sind Anmutungserlebnisse im Bereich der ästhetischen Naturerfahrung. Ihnen haftet sicher Subjektives an. Aber eines ist unabweisbar: die Dimension des Rätselhaften. Wo der Mensch Rätsel erlebt, weiß er, daß in den Dingen etwas enthalten ist, was in dem bisher Erkannten, möglicherweise aber auch in den verfügbaren Erkenntnismethoden nicht aufgeht.

Wenn es gelingt, das, was man in solchen Anmutungserlebnissen als Rätsel empfindet, mit dem erkennenden Bewußtsein zu durchdringen, dann wird die Kluft zwischen rationaler Klarheit und den unbestimmten Dimensionen des ästhetischen Erlebens überwunden; denn die Klarheit des Erkennens wird in das Gebiet des bisher nur Erlebten ausgeweitet. Wie aber kann man das, was man als Anmutung beim Betrachten von Pflanzen erlebt, bewußt erfassen? Man muß jenen Bereich, der beim ästhetischen Anschauen im eigenen Innern auflebt, genau kennenlernen. Das sind innere Seelenzustände, vor allem Gefühle. Man wird auch die Pflanzen in ihren Formen und Farben eingehend betrachten. Dann kann sich zeigen, inwieweit sich im Menschen bisher verschlossene Bereiche der Pflanzenwelt aussprechen.

Man betritt ein neues Gebiet des Forschens, indem man das Objektivitätspostulat der modernen Naturwissenschaft, die Forderung, die Natur objektiv, d.h. unter Ausschluß des Menschen zu untersuchen, aufgibt. Wir wollen nicht erörtern, inwieweit dieses Postulat schon immer eine Fiktion war, sondern darauf hinweisen, daß eine methodische Erweiterung des Naturerkennens nur möglich ist, wenn man die von diesem Postulat bestimmten Grenzen überschreitet. Man muß allerdings, um nicht ins Ungewisse und Unüberprüfbare zu kommen, mit großer Sorgfalt vorwärtsschreiten und sich von jedem Schritt Rechenschaft geben.“ (Lit.: Kranich, S 10)

Wenn man sich von den Wahrnehmungen mit Zurückhaltung des eigenen Denkens seelisch wirklich berühren lässt, öffnet sich allmählich der Blick für die in der Außenwelt formend tätigen Ätherkräfte.

„Sollen die Ätherkräfte in der Außenwelt, der menschlichen Umgebung, wahrgenommen werden, sind folgende Schritte sehr erfolgreich:

Der Ausgangspunkt liegt vorzugsweise in der Sinneswelt. Dabei kann es sich um ein Lebewesen handeln, ein Stück Gestein, einen Bach oder eine atmosphärische Erscheinung. Das, was daran von Interesse ist, wird genau betrachtet, in den Blickgenommen. Die Betrachtung kann weitläufig sein - eine Landschaft, eine Vogelgezwitscher-Kulisse -, sie kann aber auch sehr fokussiert, konzentriert sein - der Stiel oder die Rippe eines Blattes, eine bestimmte Welle innerhalb eines Bachlaufes. Wichtig ist, dass man sich in die gewählte Erscheinung intensiv vertieft, so weit, bis man von ihr in einer Weise berührt wird, die über das rein Sinnfällige - also nur Optik oder nur Akustik -, über das rein Faktische hinausgeht. Am besten ist dieser Übergang zu beschreiben durch die Formulierung: Der Betrachter wird durch die - oder, besser, von der - Erscheinung berührt.“ (Lit.: Schmidt, S. 58)

Rudolf Steiner gibt dazu folgende Beispiele:

„Schauen wir dagegen die Blüte an. Wir können eigentlich nicht anders, wenn wir ihr gegenüberstehen mit dem Auge des Geistes, als sie zu empfinden wie unsere eigene Seele, wenn diese die zartesten Wünsche hegt. Sehen Sie sich nur einmal so eine richtige Frühlingsblüte an; sie ist ja im Grunde genommen ein Wunschhauch; sie ist die Verkörperung einer Sehnsucht. Und es gießt sich eigentlich, wenn wir dazu zarten Seelensinn genug haben, über die Blütenwelt, die uns umgibt, etwas Wunderbares aus.

Wir sehen im Frühling das Veilchen oder meinetwillen den Märzbecher oder das Maiglöcklein oder manches gelbblühende Pflänzchen, und wir werden ergriffen davon, so wie wenn uns alle diese frühlingsblühenden Pflanzen sagen wollten: Ach, Mensch, wie rein und unschuldig kannst du eigentlich deine Wünsche nach dem Geistigen hin richten. - Die geistige Wunschnatur, ich möchte sagen, die in Frömmigkeit getauchte Wunschnatur sprießt und sproßt aus jeder Frühlingsblüte. Wenn dann die späteren Blüten kommen — nehmen wir gleich das Extrem, nehmen wir die Herbstzeitlose -, ja, kann man denn mit Seelensinn die Herbstzeitlose anschauen, ohne ein leises Schamgefühl zu haben? Mahnt sie uns denn nicht daran, daß unsere Wünsche unrein werden können, daß unsere Wünsche durchzogen werden können von den mannigfaltigsten Unlauterkeiten? Man möchte sagen, die Herbstzeitlosen sprechen von allen Seiten so zu uns, als wenn sie uns fortwährend zuraunen wollten: Schaue auf deine Wunschwelt hin, o Mensch, wie leicht du ein Sünder werden kannst.

Und so ist eigentlich die Pflanzenwelt der äußere Naturspiegel des menschlichen Gewissens. Man kann sich nichts Poetischeres denken, als diese im Inneren wie aus einem Punkt herauskommende Gewissensstimme verteilt zu denken auf die mannigfaltigsten Pflanzenblütenformen, die uns die Jahreszeiten hindurch so zur Seele reden, in der mannigfaltigsten Weise zur Seele reden. Die Pflanzenwelt ist der ausgebreitete Spiegel des Gewissens, wenn wir nur die Pflanzenwelt in der richtigen Weise anzusehen wissen.“ (Lit.:GA 230, S. 185f)

Obwohl Pflanzen keinen eigenen Astralleib haben, so stehen sie doch in inniger Beziehung zur Astralwelt:

"Wenn der Hellseher eine Pflanze betrachtet, wie sie mit der Wurzel im Boden wurzelt, Blätter und Blüten ansetzt, hat er zunächst vor sich die Pflanze, bestehend aus dem physischen Leibe und dem Ätherleib. Das Tier hat noch den Astralleib. Nun können Sie einmal die Frage aufwerfen: Haben die Pflanzen gar nichts von einem Astralleibe? Es wäre falsch, würde man das behaupten; er ist nur nicht drinnen, wie er in dem Tiere drinnen ist. Wenn das hellseherische Bewußtsein die Pflanze beschaut, so sieht es namentlich oben, wo die Blüten sind oder entstehen, die ganze Pflanze eingetaucht in eine astrale Wolke, eine helle Wolke, die die Pflanze namentlich an diesen Teilen umgibt und einhüllt, wo sie blüht und Früchte trägt. Also die Astralität senkt sich gleichsam auf die Pflanze nieder und hüllt einen Teil der Pflanze ein. Der Astralleib der Pflanze ist eingebettet in diese Astralität. Und das Eigentümliche davon ist, daß, wenn Sie sich die ganze Pflanzendecke der Erde denken, so werden Sie finden, daß die Astralleiber der Pflanzen einer an den anderen grenzen und sie ein Ganzes bilden, von dem die Erde eingehüllt ist wie von physischer Luft, von der Pflanzenastralität. Wenn die Pflanzen nur einen Ätherleib hätten, würden sie so wachsen, daß sie nur Blätter, keine Blüten ansetzen würden, denn das Prinzip des Ätherleibes ist Wiederholung. Wenn eine Wiederholung abgeschlossen und ein Abschluß gebildet werden soll, muß ein Astralleib dazukommen.

So können Sie am Menschenleibe selbst betrachten, wie das Ätherische und das Astrale zusammenwirken. Denken Sie sich die aufeinanderfolgenden Ringe des Rückgrats. Da gliedert sich Ring an Ring. Solange dies geschieht, wirkt hauptsächlich das ätherische Prinzip im Organismus. Oben, wo die knöcherne Schädelkapsel eintritt, dort überwiegt das Astrale, nämlich dort hat das Astrale das Übergewicht. Also das Prinzip der Wiederholung ist das Prinzip des Ätherischen, und das Prinzip des Abschlusses ist dasjenige des Astralen. Die Pflanze würde oben nicht abgeschlossen sein in der Blüte, wenn sich nicht in das Ätherische das Astrale der Pflanzennatur senken würde.

Wenn Sie eine Pflanze verfolgen, wie sie den Sommer hindurch wächst und dann im Herbste Früchte trägt und dann anfängt zu welken, also wenn die Blüte anfängt zu ersterben, dann zieht sich das Astrale wieder aus der Pflanze zurück nach oben. Das ist ganz besonders schön zu beoachten. Während das physische Bewußtsein des Menschen im Frühling seine Freude haben kann an dem Erblühen der Pflanzen, wie sich Flur um Flur mit herrlichen Blüten bedeckt, gibt es für das hellseherische Bewußtsein noch eine andere Freude. Wenn gegen den Herbst zu die Pflanzen, die einjährig sind, absterben, dann leuchtet es und huscht hinauf wie huschende Gestalten, die sich als astrale Wesenheiten herausbegeben aus den Pflanzen, die sie den Sommer hindurch versorgt haben. Hier ist wieder eine Tatsache, die uns in dem poetischen Bilde entgegentritt, das nicht verstanden werden kann, wenn nicht hierin das hellseherische Bewußtsein verfolgt werden kann. Da sind wir schon in einem intimen Felde des astralen Bewußtseins. Aber bei Völkern der Vorzeit, wo solche intime Hellseher vorhanden waren, da war auch schon dieses Sehen im Herbst vorhanden. Sie finden bei dem hellseherischen Volke Indiens in der Kunst das wunderbare Phänomen dargestellt, daß ein Schmetterling oder ein Vogel hinausfliegt aus einem Blütenkelch. Wiederum ein solches Beispiel, wie in der Kunst etwas aufsteigt, wo durchaus das hellseherische Bewußtsein zugrunde liegt aus jenen fernen Zeiten her, wo entweder das hellseherische Bewußtsein in den Künstlern gewirkt hat oder als eine Tradition beachtet wurde." (Lit.: GA 108, S. 22ff)

Der menschliche Astralleib ist sogar in gewisser Weise ein Kompendium der Formen des Pflanzenreiches, so wie der Ätherleib die zusammengedrängten Formen des Tierreichs in sich enthält.

"... wenn wir unseren astralischen Leib betrachten, wenn wir ihn so absondern könnten, wie ich das jetzt angegeben habe für das Absondern des ätherischen Leibes, da würde er zerfallen, denn auch er ist nur durch die Elastizität des physischen und Ätherleibes zusammengehalten; da würde er zerfallen und würde etwas darstellen, was so ähnlich wäre, wie das gesamte Pflanzenreich. Wirklich, in uns steckt dadurch, daß wir einen astralischen Leib haben, alles, was in den Formen des Pflanzenreiches in Mannigfaltigkeit draußen in der Welt sich ausbreitet. Wenn Sie die ganze Pflanzenwelt studieren in der Art und Weise, wie sich Form neben Form stellt, so haben Sie ein äußeres Bild, ein auseinandergefächertes Bild desjenigen, was zusammengezogen ist im menschlichen astralischen Leibe. Auch das gehört zum verlorengegangenen Worte. In der Urweisheit war Bewußtsein von diesen Dingen vorhanden. Daher hat man sich gesagt: Also ist im Menschen etwas, was seine tief-innerste Verwandtschaft mit der Baum-, mit der Pflanzennatur zum Ausdrucke bringt. Lesen Sie die germanische Mythologie; Mythologien sind ja nur ein später Ausdruck der Ur-Weisheiten der Menschen. Da sehen Sie, wie das erste Menschengeschlecht gewonnen wird aus Esche und Ulme, und Sie haben darinnen steckend etwas von einem Bewußtsein dieser Verwandtschaft des Menschen mit der Pflanzennatur, die ja ihre Grundlage darinnen hat, daß der Mensch selber während der Sonnenzeit auf der Stufe des Pflanzenreiches, während der Mondenzeit auf der Stufe des Tierreiches gestanden hat." (Lit.: GA 167, S. 169)

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Weblinks